Kapitel 5 ~ "Du bist nicht An Ze."

 

5.

"DU BIST NICHT AN ZE."


DANN wurde er ganz leicht und wippte in der Luft auf und ab.

Das Sonnenlicht, das vom Fenster hereinschien, verwandelte sich in wogendes Meerwasser, und die Papiere und Notizbücher auf dem Tisch, die davon durchtränkt waren, wurden zu einer weißen Masse.

An Zhe blinzelte. Er fühlte sich nicht unwohl, nur das alle seine Bewegungen sehr, sehr langsam und unsicher geworden waren.

Er konnte seinen eigenen Körper nicht mehr kontrollieren. Es war, als würde er gerade fliegen, aber auch, als ob er zeitgleich zu fallen drohte.

Und dann ... verdunkelte sich die Welt vor seinen Augen allmählich wieder und er verlor völlig das Bewusstsein.

Die Kälte weckte ihn auf. Nach dem Aufwachen stellte er fest, dass die ununterbrochene Kulisse der grauen Gebäude vor dem Fenster in den rot-goldenen Schein der untergehenden Sonne getaucht war. Seit er eingeschlafen - oder vielmehr ohnmächtig geworden war - waren mindestens sieben oder acht Stunden vergangen. Es stellte sich heraus, dass das Gift in seinen Hyphen die Menschen lethargisch machte.

Anders als tagsüber war die Temperatur im Raum am Abend viel niedriger. An Zhe legte sich zurück auf das Bett, wickelte sich in die Bettdecke und konnte erst dann zu seiner Wärme zurückfinden. Aber nachdem das durch die Kälte hervorgerufene Taubheitsgefühl verschwunden war, verspürte er Hunger.

An Zhe zog es vor, seine benötigten Nährstoffe aus der Erde zu absorbieren, so wie es alle Pilze taten, aber auf seinem Weg hierher hatte er in der ganzen Basis keinen einzigen Fleck feuchten Boden gefunden, so dass er nur die Nahrung der Menschen zu sich nehmen konnte.

Stirnrunzelnd dachte er, dass die Menschen wirklich eine sehr komplizierte Art von Lebewesen waren.

Zum Glück sagten ihm An Zes verbliebene Erinnerungen, wo er zum Essen hingehen sollte. Die Basis war in acht Distrikte unterteilt, wobei die Distrikte 6, 7 und 8 als Hauptwohnviertel dienten.

Hier war jedes Gebäude eine Gemeinschaft. Der erste Stock war die Haupthalle, in der täglich zu festen Zeiten Wasser und Essen bereitgestellt wurden. Kinder bis zum Alter von sechzehn Jahren erhielten kostenlose Zuteilungen, während Erwachsene, die über sechzehn Jahre alt waren, ihre Chipkarte durchziehen mussten, um in der Währung der Basis, deren Einheit mit dem Buchstaben R abgekürzt worden war, zu bezahlen.

In der Haupthalle befanden sich nicht allzu viele Menschen, vielleicht fünfzig waren für ihn auf einen Blick sichtbar. Es gab nur zwei Fenster für den Verkauf von Lebensmitteln. Das eine war eine essbare Paste, die aus der Knolle einer bestimmten Pflanze hergestellt wurde, während das andere... eine Suppe aus derselben Knolle war. Als er sein Gedächtnis durchforstete, erinnerte er sich vage daran, dass diese Pflanze 'Kartoffel' genannt wurde.

An Zhe zog seine Karte zum Bezahlen durch.

Kartoffelpüree - Preis 0,5 R, Restbetrag 9,5 R.

Kartoffelsuppe - Preis 0,3 R, Restbetrag 9,2 R.

Als er auf die Zahl starrte, die den Saldo auf der Karte
anzeigte, wurde An Zhe klar, dass er in wenigen Tagen am Rande des Verhungerns stehen würde.

Das Gefühl war wie das eines Pilzes, der in einem Stück trockener Erde Wurzeln geschlagen hatte und jeden Augenblick mit seinem Tod rechnen dürfte.

Als er nach seiner Mahlzeit in den fünften Stock zurückkehrte und
0,1 R ausgab, um im Gemeinschaftswasserraum Wasser zu holen, wurde das Gefühl noch deutlicher.

Jetzt musste er nur noch eines tun: eine Einnahmequelle finden.
Nachdem er den Deckel der Standard-Edelstahlflasche zugeschraubt hatte, hielt An Zhe die Flasche in der Hand und wollte sich gerade zum gehen umdrehen, als plötzlich eine Stimme hinter ihm ertönte: „An Ze?“

Die laute Stimme, die etwas zittrig klang, hallte in dem
beengten Raum wider.

An Zhe drehte sich um.

Im Korridor stand ein junger Mann von großer Statur und schönem Gesicht. Er schaute An Zhe mit weit aufgerissenen Augen und bebenden Lippen an; es war schwer zu entscheiden, ob sein Ausdruck tatsächlich Freude oder Schock war.

An Ze?“, rief er erneut, „Du bist... zurückgekehrt? Hast du nicht...?“

Bei diesen Worten verlor er abrupt die Stimme und seine Gesichtsfarbe verfärbte sich bläulich. Es war, als wüsste er nicht, wie er fortfahren sollte.

Aber An Zhe wusste, was er sagen wollte, denn er kannte diese Person. Er wurde Josh genannt. Josh war An Zes Nachbar und Freund, und sie waren zusammen aufgewachsen. Manchmal kümmerte sich Josh um An Ze, aber häufiger kümmerte sich An Ze um ihn - diese fleckigen Erinnerungsreste tauchten vor An Zhes innerem Auge auf.

Aber sein Wissen über Josh stammte nicht nur aus An Zes Erinnerungen. Als er ein Pilz war, hatte er diese Person schon einmal gesehen. Die Kombination aus dem, was er gesehen hatte und An Zes Erinnerungen lieferten ihm die gesamte wahre Ursache für An Zes Tod.

An Ze war jemand, der von der Schriftstellerei lebte. Seine geschriebenen Romane, Essays und Gedichte zur Unterhaltung des Volkes reichte er immer bei der Monatszeitschrift ein und die Basis veröffentlichte regelmäßig diese Pamphlete. Aber vor drei Monaten, um Arbeitskräfte und Ressourcen zu sparen, hatte die Basis diese Abteilung abgeschafft.

Damals...

An Ze, was liest du da?“, fragte Josh.

Ich will mich auf die Auswahlprüfung für das Versorgungsdepot der Basis vorbereiten“, An Ze kritzelte mit seinem Stift Kreise in das Buch, „Ich denke, die Arbeit dort wird mir gefallen und die Bezahlung ist gut.“

Doch Josh runzelte die Stirn: „Du willst aufhören, Zivilist zu sein?“, fragte er, „Die Prüfung ist sehr schwierig.“

An Ze antwortete: „Das ist schon in Ordnung.“

Doch Joshs Stimme wurde schärfer: „An Ze, du hast die ganze Zeit gewusst, dass ich mit dir in die Wildnis gehen will.“

An Ze lächelte. Der Ton seiner Stimme war sehr sanft, sowohl als würde er seinem eigensinnigen Freund Nachsicht entgegenbringen, aber als auch wie ein Seufzer der Resignation: „Ich bin nicht geeignet, um nach draußen zu gehen.“

Ich werde dich beschützen“, Josh hielt ihn an der Schulter fest, und der Ton seiner Stimme wurde weicher, „Ich kann dich nicht verlassen. Komm mit mir in die Wildnis. Wir werden nirgendwo hingehen, wo es gefährlich ist.“

Die Fragmente in seinen Erinnerungen waren mehr oder weniger alle so. Schließlich hatte An Ze Joshs unerbittlichem Drängen zugestimmt und eingewilligt, mit ihm zusammen auf ein Abenteuer in die Wildnis zu gehen. Josh war Mitglied einer großen Söldnertruppe. Nachdem er einige verdienstvolle Taten vollbracht hatte, konnte er An Ze sehr leicht in das Team einführen, wo dieser für die Zuteilung und Buchführung der Materialien verantwortlich war.

Aber in der Wildnis konnte alles passieren. So auch an diesem Tag, an dem sich das Team in eines der Randgebiete des Abgrunds verirrt hatte. Als sie den ungewöhnlichen Reichtum an Pilzen bemerkten, war es bereits zu spät. Die Ungeheuer des Abgrunds würden keine Nahrung entkommen lassen, die ihnen praktisch vors Maul gelegt worden war.

Für die Menschen waren selbst die äußersten Ränder des Abgrunds schrecklich und tödlich. Drei der fünf gepanzerten Wagen wurden beschädigt und die Insassen dieser drei Wagen wechselten in Panik zu den intakten Panzerwagen. Als sie auf der Flucht waren hatte An Ze Josh geschubst, so dass dieser nur knapp dem Angriff eines geflügelten Monsters aus der Luft entkommen konnte, aber daraufhin war An Ze über die Ranken am Boden gestolpert und gestürzt.

Josh war in diesem Augenblick für eine Sekunde auf der Stelle erstarrt gewesen. Nachdem diese Sekunde vergangen war, schien ihn sein Überlebensinstinkt alles andere vergessen zu lassen. Er hatte die Wahl, An Ze hochzuziehen oder mit dem eigenen Leben zu entkommen, und er entschied sich für Letzteres, biss die Zähne zusammen und sprintete vorwärts bevor ihn der Hauptmann in den gepanzerten Wagen zog - währenddessen beobachtete An Ze ihre verschwindenden Gestalten im sicheren Fahrzeug, und wurde sogleich von einem knöchernen Stachel eines Monsters in die Brust gestochen.

Das Söldnerteam begann sofort den Kampf mit den Monstern unter Einsatz ihrer stärksten Feuerkraft, um sich so immer weiter zurückzuziehen. Die Geräusche ihrer Aktivitäten waren so laut, dass sie An Zhe damit weckten - er war nach draußen gekommen, um nach seiner Spore zu suchen, aber er war wie immer mit leeren Händen zurückgekehrt. Dieses Mal war jedoch eine Ausnahme. Er nutzte das heftige Kampfgeschehen, um den verletzten An Ze heimlich mit sich in die Tiefen der Höhle zu ziehen.

Jetzt, wo er Josh gegenüberstand, hatte An Zhe nichts zu sagen. Im Angesicht des Todes ist die erste Reaktion eines jeden Lebewesens zu fliehen. Josh hatte nichts Falsches getan, aber An Zhe konnte ihn nicht leiden.

Du... scheinst irgendwie nicht du selbst zu sein“, Joshs Adamsapfel wippte heftig auf und ab, „Ist deine Wunde verheilt? Wie bist du überhaupt aus dem Abgrund entkommen?“

An Zhe sah ihn nur ruhig an.

Nein, du bist nicht An Ze. Du bist kein Mensch!“

Josh machte einen abrupten Schritt zurück, sein Gesicht war kreidebleich: „Du bist ein Xenogenic.“

Ich bitte um Entschuldigung“, An Zhe ging hinaus und schob sich an ihm vorbei, „Ich habe versehentlich einen giftigen Pilz gegessen, deshalb weiß ich nicht mehr, wer du bist.“

In gewisser Weise hatte er nicht gelogen.

Mit diesen Worten hörte An Zhe auf, ihn zu beachten und ging geradeaus weiter.

Lange Zeit waren keine Schritte hinter ihm zu hören. Erst als er seine ID-Karte durchzog, um die Tür zu öffnen, eilte Josh herbei und packte ihn an der Schulter: „Bist du wirklich
An Ze? Aber du...“

An Zhe hob beiläufig den genetischen Untersuchungsbericht, der auf dem Tisch lag, auf und hielt ihn Josh hin. Josh sagte: „Das ist...“

An Zhe blickte nach unten und entdeckte, dass auf der obersten Seite 'WIDERSETZE DICH DER TYRANNEI DES SCHIEDSRICHTERS' stand.

Langsam zog er das Papier weg. Josh sah sich den Bericht an: „Du ...“, er überflog ihn, dann sah er erneut zu An Zhe auf, „Du bist wirklich aus dem Abgrund entkommen?“

Ich wurde gerettet“, sagte An Zhe, „Den Rest habe ich vergessen.“

Joshs Hand, in der er den Genbericht hielt, zitterte.

Dann zogen sich seine Mundwinkel nach oben und enthüllten ein Lächeln, während er An Zhe ansah: „Ich... ich war zu aufgeregt. Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommen könntest.“

Er legte den Genbericht auf den Tisch und beugte sich mit leicht erregter Miene zu An Zhe. Sogar die Muskeln an den Enden seiner Augenbrauen zuckten: „Wie viel ... hast du vergessen?“

An Zhe trat einen Schritt zurück. „Ich habe alles vergessen“, sagte er, „Bitte belästigen Sie mich nicht.“

Du weißt auch nicht mehr, wer ich bin?“, Josh senkte seine Stimme ein wenig, „Wir sind zusammen aufgewachsen.“

Danke“, sagte An Zhe, „Können Sie jetzt bitte gehen?“

Ich...“, Josh, der offensichtlich nicht erwartet hatte, dass An Zhe ihn so behandeln würde, war fassungslos. Er sagte: „Du warst früher nicht so.“

Aber einen Moment später wurde seine Haltung wieder weicher: „Ich werde dich nicht weiter stören. Ruh dich gut aus und ich besuche dich morgen wieder. Ich bin überglücklich. An Ze, wir sind die Menschen, die sich am nächsten auf der ganzen Welt stehen!“

An Zhe schwieg bis zu dem Moment, als Josh sich umdrehte und ging, wobei er leise die Tür schloss.

Dass Josh ihn so einfach davonkommen ließ und den Raum verließ, hielt An Zhe zunächst für unrealistisch, aber es war auch möglich, dass Josh aufgrund seiner übermäßigen Schuldgefühle geflohen war.

Stille kehrte in den Raum ein. An Zhe legte sich langsam auf das Bett und umarmte das Kissen, während er eine Traurigkeit spürte, die wie ein feiner Rauch im Zimmer lag. Diese Traurigkeit galt nicht ihm selbst, sondern An Ze.

Die Versprechen zwischen Menschen waren mehr oder weniger so
zerbrechlich; Josh würde nicht mehr die Person sein, die An Ze am nächsten stand.

Sobald er seine Spore gefunden hatte, würde er in den Abgrund zurückkehren, die stille Höhle finden, neben An Zes schneeweißen Knochen Wurzeln schlagen und den Rest seines Lebens als Pilz verbringen.


... Seine Spore.


Draußen vor dem Fenster war die Nacht dunkel und die Aurora fluktuierte wie üblich am pechschwarzen Himmel. An Zhe setzte sich an den Tisch und schaltete die Schreibtischlampe ein.

Als Erstes musste er einen Job finden, um nicht zu verhungern.

Gleichzeitig musste er nach Informationen über seine Spore suchen und sein einziger Anhaltspunkt war diese Patronenhülse.

Bei diesem Gedanken fasste An Zhe ängstlich in seine Tasche. Er war in ständiger Angst, sie zu verlieren - gut, sie war noch da. Er konnte sie als Pilz in seinem Körper verstecken, aber nicht als Mensch. Sie war so klein, dass sie jederzeit aus seiner Tasche schlüpfen konnte.

Schließlich fand An Zhe eine schwarze Lederschnur in einer der Schubladen im Schrank und hängte sich die Patronenhülse um den Hals.

In der Schublade befand sich auch ein kleines schwarzes Gerät. Er untersuchte mühsam dessen äußere Details und fand schließlich einige Informationen dazu in seinen Erinnerungen. Dies war ein Kommunikator, und die ID-Nummer einer jeden Person war auch ihre Kommunikator-Nummer. Die Menschen benutzten sie für die Fernkommunikation, die aber nur innerhalb der Basis möglich war, weil es draußen kein Signal gab.

Er lud den Kommunikator auf. Obwohl er ihn nicht brauchte, schien diese Sache eine gewisse 'Macht' über einen Menschen zu haben und diesem große Freude zu bereiten.

Nachdem er dies getan hatte, beruhigte er sich endlich und begann den Schreibtisch zu untersuchen.

In den Notizbüchern auf dem Tisch standen Dinge, die An Ze geschrieben hatte. Die Handschrift war sehr schön. Auf der Seite neben der Wand standen etwa zwanzig Bücher, die An Ze wahrscheinlich alle früher gerne gelesen hatte. An Zhe warf einen Blick auf die Titel auf den Buchrücken, dann griff er nach einem grob gebundenen Buch mit grauem Einband mit dem Titel 'Basis-Handbuch'.

Er klappte es auf. Auf der Titelseite stand nur ein Satz:
Die Interessen der Menschheit haben Vorrang vor allem anderen.
An Zhe schürzte unbewusst seine Lippen und blätterte weiter. Die zweite Seite war das Inhaltsverzeichnis. Das gesamte Handbuch war in vier Abschnitte unterteilt: die Gesetze des Stützpunkts, die Vorschriften für die Lebensweise auf dem Stützpunkt, Zusammenfassungen der Funktionen innerhalb der einzelnen Bereiche und Karten des Stützpunkts.

An Zhe überflog den Abschnitt über die Gesetze. Er wusste, dass er ein gesetzestreuer Pilz war, und ein gesetzestreuer Pilz würde nicht gegen die Gesetze einer anderen Spezies verstoßen.

Der Abschnitt über die Lebensweise wurde mit den Arbeits- und Ruhezeiten in den Wohngebieten im Detail erläutert.

Strom, Wasser und Nahrung wurden jeweils für eine Stunde morgens um 6.00 Uhr und mittags geliefert. Das Abendessen wurde um 18.00 Uhr bereitgestellt und der Strom wurde dann etwas länger geliefert und erst um 21 Uhr abgeschaltet.

Jedes Wohngebiet war mit hohen Alarmtürmen ausgestattet und die Alarme waren in drei Arten unterteilt: 'Sammeln', 'Evakuierung' und 'Schutz suchen'. Der Sammelalarm war ein kurzer, hoher Ton. Der Evakuierungsalarm war ein wellenförmiges Signal und der Schutzraumalarm war ein schriller Heulton. Die Bewohner des Stützpunkts mussten sich an die Lebensvorschriften und an die Anweisungen des Alarmturms halten, aber sie dürften die anderen Aspekte ihres Lebens selbst regeln.

Zu diesem Zeitpunkt fühlte sich An Zhe leicht verwirrt. Er dachte, dass nach diesen Vorschriften jeder nur in seinem Zimmer liegen und zu bestimmten Zeiten zum Essen und Trinken herauskommen würde – aber er erkannte sehr schnell die Absichten der Basis.

Obwohl jeder leben konnte, wie er wollte, war man für seine eigenen Unterhaltskosten selbst verantwortlich. Um die Währung zu erhalten, die auf dem Stützpunkt zirkulierte, musste man entweder einen Job finden oder als Söldner wertvolle Materialien, die man in der Wildnis sammeln konnte, an die Basis gegen Bezahlung abgeben.

Aber... in diesem Fall konnte jeder einfach an die Orte mit der niedrigsten Gefahrenstufen gehen, wahllos etwas mitnehmen und hätte dann genug zu essen und zu trinken.

An Zhe blätterte die Seiten weiter um. Der nächste Abschnitt war die Zusammenfassung der Funktionen der Gebiete.

Der erste Bereich in diesem Abschnitt hieß 'Versorgungsdepots' und sie waren mit 1, 2 und 3 nummeriert. Die ersten beiden gehörten dem Militär, waren am Eingang und am Ausgang des Stützpunktes errichtet worden und dienten für die Bewertung der gesammelten Materialien und dem Austausch dafür gegen Geld und sie waren ebenso für Kampfmaterial zuständig.

Jedes Mal, wenn ein Söldnerteam aus der Wildnis zurückkam, berechneten die Arbeiter des Versorgungsdepots das auszuzahlende Geld auf der Grundlage der gesammelten Materialien und die verbleibenden tödlichen Waffen und gepanzerten Fahrzeuge wurden in ihre Obhut genommen und an der Einreise in die Stadt gehindert.

Erst wenn die Söldnertruppe wieder aufbrechen würde, könnten sie eine erneute Verwendung beantragen. Die Söldnerteams tauschten die Währung gegen Gewehre, Kugeln, Rüstungen, Treibstoff und andere für die Erkundung der Wildnis wichtigen Gegenstände ein, und sie konnten sogar verschiedene Arten von gepanzerten Fahrzeugen kaufen.

Im Gegensatz zu den beiden anderen Versorgungsdepots befand sich das Versorgungsdepot 3 innerhalb der Stadt. Es war zuständig für den Austausch von zivilen Materialien und verwendete die Währung der Basis. Dort konnte man gegen viele Güter des täglichen Bedarfs eintauschen: Lebensmittel und Zutaten, Spirituosen und Elektronik, oder sogar Wohnungsgeschäfte abwickeln.

Gegenüber dem Versorgungsdepot 3 befand sich der 'freie Markt'.

Manchmal gehörten die Materialien, die die Söldnerteams aus menschlichen Ruinen mitbrachten, nicht zu den Materialien, die das Militär benötigte, so dass sie diese dann, wenn sie als sicher bestätigt worden waren, in die Stadt bringen und sie auf dem Markt frei damit handeln dürften.

In diesem Moment sah An Zhe einen kleinen Vermerk darunter. Hinweis: Der freie Markt ist keine autorisierte Einrichtung der Basis. Alle Handlungen erfolgen auf eigene Gefahr. Hinweis: Beschäftigungs- und Vertragsverhältnisse, die über den freien Markt zustande kommen, unterliegen nicht dem rechtlichen Schutz durch den Stützpunkt. Handeln Sie auf eigene Gefahr.

Sonst gab es nicht viele Informationen dazu. An Zhe konzentrierte sich auf das einzige Wort 'Beschäftigung'.

Mit anderen Worten: Der freie Markt war auch ein Ort, an dem Arbeitsplätze angeboten werden konnten.

Noch weiter unten waren die Zusammenfassungen der einzelnen Wohngebiete. Die überfüllten Wohngebiete waren die Gebiete 6 und 7. In den anderen Gebieten gab es leerstehende Gebäude und sehr wenige Menschen. Bereich 8 war ein zentraler Schutzraum mit perfekten Sicherheitseinrichtungen.

Darunter folgte die Zusammenfassung des Gerichtshofs.
An Zhe erinnerte sich an den Oberst mit den kalten grünen Augen, und sein Lesetempo verlangsamte sich stark, als er begann, jedes einzelne Wort zu lesen.

Zu den Aufgaben des Tribunals gehörte nicht nur die Identifizierung von Xenogenics am Stadttor. Sie führten auch tägliche Patrouillen in den belebten Teilen der Stadt durch, um versteckte Bedrohungen zu eliminieren.

Die Hauptpatrouillenpunkte waren die Bereiche um die Versorgungsdepots, aber sie kontrollierten auch gelegentlich die Wohngebäude - vor allem die, in denen Menschen abnormes Verhalten zeigten oder die gemeldet wurden.

Seltsamerweise erinnerte sich An Zhe wieder an die Worte „Du solltest auch das einzigste Mal bleiben.“.

Wenn es möglich wäre, so hoffte An Zhe, sollte Lu Feng für immer am Stadttor bleiben und das sich der Schiedsrichter niemals dazu herablassen würde in die Wohnhäuser zu kommen.

Er blätterte weiter. Die anderen Bereiche waren von nicht so großer Bedeutung für ihn - wie das Büro für Stadtangelegenheiten, die Städtische Verteidigungsbehörde, die Hauptstadt und so weiter.

Im Handbuch stand, dass die Basis aus der Äußeren Stadt, auch Festung genannt, und der Hauptstadt im Zentrum bestand. In der Hauptstadt befanden sich die wichtigen wissenschaftlichen Forschungs- und Rüstungseinrichtungen sowie das Energie- und politische Zentrum. Der Zutritt war für alle verboten, es sei denn man besaß einen speziellen Pass oder eine Aufenthaltsgenehmigung.

Nachdem er einen Blick auf die Karte des Stützpunkts geworfen hatte, schloss An Zhe das Buch. Ihm wurde einmal mehr klar, dass die Menschen eine andere Art von Lebewesen als die Pilze waren.

Das zweite Buch, das er aufschlug, hieß 'Bewertungshandbuch des Versorgungsdepots'. Sobald er den Einband sah, drängten sich die entsprechenden Erinnerungen in den Vordergrund, viel klarer als seine anderen Erinnerungen. An Zhe dachte, dass dies vielleicht bedeutete, dass der Besuch des Versorgungsdepots etwas sehr Wichtiges für An Ze gewesen war.

Wenn das so war, warum hatte er dann zugestimmt, mit Josh in die Wildnis zu gehen?

Er grübelte lange darüber nach. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass An Ze eben so ein Mensch war.

An Ze hatte die Prüfung verpasst. Die diesjährige Rekrutierungsprüfung für das Versorgungsdepot war vor fünfzehn Tagen abgehalten worden. Zu dieser Zeitpunkt hatte er bereits nur noch aus weißen Knochen bestanden.

Aber das war schon in Ordnung, dachte An Zhe. In einem Jahr, wenn das Versorgungsdepot wieder Leute rekrutierte, würde er es versuchen, wenn er dann immer noch in der Menschenbasis lebte.

Auf diese Weise könnte er An Ze nach seiner Rückkehr in die Höhle erzählen, wie es dort war.

Das lange Lesen verbrauchte viel von seiner Energie. Nachdem er zwei Seiten des Bewertungshandbuchs gelesen hatte, wurde An Zhe schläfrig. Schließlich legte er sich ins Bett und schlief.

Am nächsten Morgen verließ er sein Zimmer um 4 Uhr morgens - um Josh nicht zu begegnen -, ging dann die Treppe hinunter zur Haltestelle und stieg in den Zug in Richtung Versorgungsdepot - er wollte zum gegenüberliegenden freien Markt gehen, um einen Job zu finden.

Es war 7 Uhr morgens, als er aus dem Zug stieg, und weiße Nebelschwaden hingen noch in der Luft. Der freie Markt war ein großes rundes Gebäude mit vier Eingängen, und er betrat ihn durch den nächstgelegenen.

Der Geruch von Schnaps stieg ihm in die Nase.

In der Nähe des Eingangs waren vier lange Tische aufgestellt, an denen als Söldner gekleidete Leute Trinkspiele spielten und sich lautstark unterhielten. Vor ihnen standen Becher mit Alkohol und ab und zu bat jemand um Nachschub. Dann goss der Kellner nach und nahm schließlich ein kleines Gerät heraus und hielt es an die Ausweise, die die Gäste vor sich liegen hatten, um so die Bezahlung entgegenzunehmen.

Ein stämmiger, dunkelhäutiger Söldner trank allein.

Als er An Zhe sah, wackelte der Söldner mit den Augenbrauen, grinste und fuchtelte mit dem Becher in seiner Hand herum: „Was guckst du mich so an, Junge? Willst du herkommen und lernen, wie man trinkt?“

Eine kurzhaarige Frau neben ihm stieß ihn prompt mit dem Ellbogen in die Brust. Ihre Stimme war heiser, aber voll von guter Laune: „Artikel 32, Minderjährige dürfen keinen Alkohol trinken.“

Der Mann sagte: „Wenn er trinkt, dann ist es eben so. Oder glaubst du, der Schiedsrichter kommt ihn dann holen?“

Die Frau lachte unverhohlen auf: „Kinder, die noch nicht volljährig sind, kennen die Macht des Schiedsrichters noch nicht.“

Die wird er noch früh genug erfahren.“

An Zhe stand in der Nähe und wollte ihnen sagen: 'Ich bin nicht minderjährig', aber während er überlegte, wie er es formulieren sollte, umarmten sich die beiden, pressten Lippen auf Lippen aufeinander und es sah so aus, als würden sie sich ineinander verstricken. Ihm wurde klar, dass sich niemand ernsthaft um ihn kümmerte.

Also wandte er seinen Blick von dieser Stelle ab und schaute
woanders hin.

Der Geruch von Kartoffelsuppe wehte von der rechten Seite des Eingangs herüber, aber dieses Mal war er viel stärker als der von der Kartoffelsuppe, die in der Haupthalle im ersten Stock des Wohngebäudes ausgeteilt worden war und er war vermischt mit einem angenehmen fleischigen Geruch. Ein Söldner hatte seinen Kopf über eine weiße Plastiksuppenschüssel gesenkt, während er sein Frühstück aß.

Dieser Geruch machte An Zhe ein wenig hungrig, denn er hatte noch nicht Frühstück gegessen.

Weiter drinnen spielten sich ähnliche Szenen ab und eine ausgelassene Atmosphäre durchdrang den Saal. Abgesehen von den langen Tischen, an denen Essen und Alkohol verkauft wurden, gab es auch viele Stände, an denen Kleidung, Rucksäcke und Handschuhe auslagen. Noch weiter drinnen wurden die Stände, die normale Waren verkauften, weniger und abgelöst von Ständen, die viele seltsame Dinge verkauften, die An Zhe nicht erkennen konnte.

Neu ausgegrabenes Smartphone aus der Geisterstadt 511 - du
kannst es einschalten, sobald es Strom hat.“

Als An Zhe weiterging, sah er einen schwarz gekleideten Jungen mit einem Rucksack vor ihm auf und abspringen wie ein Affe. Er war klein und schmächtig, mit schmalen Augen, deren Blick ständig umherhuschte. In dem Moment, als An Zhe anhielt, holte er einen schwarzen, rechteckigen Gegenstand aus seiner Tasche und wedelte damit vor An Zhe herum: „Willst du einen Blick darauf werfen? Ich gebe dir zehn Prozent Rabatt und lege noch ein kostenloses Ladekabel obendrauf. Du kannst damit Spiele spielen.“

An Zhe sagte: „Danke, aber nein.“

Dann holte der Jugendliche einen weißen Gegenstand aus seiner Tasche: „Wie wäre es mit einer anderen Version? Die Farbe passt zu dir. Es ist ein neues Modell, weißt du, das letzte Apple-Modell vor der Ära des Unheils. Damals wurden sie für 10.000 R verkauft, aber jetzt reichen 100R.“

An Zhe sagte: „Danke, aber ich brauche es nicht.“

Aber die Person fuhr fort und nahm etwas anderes heraus: „Du brauchst es nicht? Du hast doch ein Handy, nicht wahr? Brauchst du ein tragbares Ladegerät? Wenn der Strom in der Basis ausfällt, kannst du das hier zum Aufladen benutzen. Die mit der großen Kapazität sind ausverkauft. Dieses hier kann nur zweimal aufgeladen werden, also gebe ich dir einen Rabatt, nur 30 R.“

Als An Zhe ihn ansah, sagte er ehrlich: „Ich habe kein Geld.“

Der Ausdruck des schwarz gekleideten Jungen erstarrte.

Blitzschnell packte er alles wieder in seinen Rucksack, drehte sich um und machte sich bereit zu gehen, während er murmelte: „Warum bist du dann auf den Schwarzmarkt gekommen, wenn du kein Geld hast?“

Warte“, rief An Zhe und hielt ihn auf.

Er drehte den Kopf, aber seine Haltung war extrem negativ: „Was?“

Ich ... will einen Job“, sagte An Zhe, „Weißt du, wo ich dafür hingehen muss?“

Der Jugendliche runzelte die Stirn, drehte sich um und betrachtete ihn sorgfältig von Kopf bis Fuß: „... Du bist also gekommen, um Arbeit zu finden.“

An Zhe antwortete wahrheitsgemäß: „Ja.“

Deine natürlichen Vorzüge sind ziemlich gut“, sagte der Junge, „Sobald du Geld hast, denk daran, zu mir zu kommen und ein Handy von mir zu kaufen. Ich werde den ganzen Monat auf dem Schwarzmarkt bleiben.“

Nach einem Moment des Schweigens fragte An Zhe: „Wohin soll ich gehen?“

Oh, da lang“, Der Jugendliche zeigte auf eine der Ecken, „Geh nach unten. Dritter unterirdischer Stock, frag nach der Chefin.“

Dankbar lächelte An Zhe ihn an: „Danke.“

Der junge Mann sagte: „Du bist gutaussehend, also such dir jemanden, der zuverlässig ist. Wenn du einmal reich bist, vergiss nicht, zu mir zu kommen und ein Handy zu kaufen!“

... Okay“, antwortete An Zhe.

_______________



Dritter unterirdischer Stock.

Feuchte Luft - das war An Zhes erster Eindruck von diesem Ort.
Eigentlich sollten Pilze diese Art von feuchter Atmosphäre mögen, aber der beißende Geruch, der mit der Feuchtigkeit einherging ließ ihn die Stirn runzeln.

Als er sich umschaute, sah An Zhe, dass unter der schummrigen Beleuchtung ein bienenwabenartiger Raum mit einem zick-zack-förmig verlaufenden Korridor war. Unzählige schmale Kabinen waren mit einfachen Plastikplatten als Türen in die Wände eingelassen worden. Es gab keine Luftzirkulation und der Wasserdampf kondensierte in zahlreichen Tröpfchen auf den Plastikplatten.

Der gesamte Raum gab ein leichtes, gezeitenähnliches Brummen von sich; beim genauen Hinhören erkannte An Zhe, dass es sich dabei um die Ansammlung und den Nachhall von vielen menschlichen Stimmen handelte, die leise sprachen, gemischt mit gelegentlichem schrillen Gelächter.

An Zhe zögerte kurz, dann machte er ein paar Schritte nach vorn.
Er blickte durch die offenen Türen auf beiden Seiten. Die linke Kabine war leer, aber in der auf der rechten Seite saß eine langhaarige Frau mit gesenktem Kopf. Nachdem sie Schritte gehört hatte, hob sie den Kopf, um einen Blick auf ihn zu werfen und senkte ihn dann wieder.

An Zhe ging weiter. Er hörte Auszüge aus einem Dialog, wobei der erste Sprecher weiblich war.

Wie war das Wetter in Becken 2?“

Nicht schlecht.“

Diesmal war es eine tiefe und weiche Männerstimme, die zum Ende hin etwas klebrig und langatmig klang. An Zhe vermutete, dass seine Nase verstopft war.

Das Wetter war sehr angenehm, aber es gab zu viele Erdbeben. Wir erlebten drei Erdbeben in einem Monat. Das schlimmste Beben war, als sie alle draußen unterwegs waren, während ich allein im Auto saß. Ich hatte fast angenommen, dass sie es nicht mehr zurückschaffen würden.“

Die Frauenstimme lachte: „Du hättest doch einfach mit dem Wagen wegfahren können, wenn sie es nicht mehr zurückgeschafft hätten.“

Der Kapitän vom Team beim vorletzten Mal hat mir gesagt, er würde mir das Fahren beibringen, aber das war alles nur Gerede. Er sagte, das nächste Mal würde er mich trotzdem mitnehmen, aber das war auch nur Gerede. Ich begleitete sie einen Monat lang und bekam nur 300R. War ich damit etwa immer noch zu teuer?“

Nimm die Worte dieser Söldner nicht zu ernst“, sagte die Frau, „Du solltest dich doch schon daran gewöhnt haben von ihnen betrogen zu werden, oder?“

An Zhe blieb stehen - Er erinnerte sich an Hosens Gesicht und seine gierigen, begehrlichen Augen und wusste plötzlich, was es mit dem Arbeiten im dritten unterirdischen Stockwerk auf sich hatte.

Zusammen mit dem Satz im Basishandbuch: Beschäftigungs- und Vertragsverhältnisse, die über den freien Markt zustande kommen, unterliegen nicht dem rechtlichen Schutz durch den Stützpunkt. Handeln Sie auf eigene Gefahr.

Diese Konsequenzen wollte er nicht tragen.

An Zhe wollte leise wieder gehen, aber gerade als er sich umdrehte, stieß er unerwartet mit einem weichen Körper zusammen.

Oh“, sagte eine hohe Frauenstimme, „Mein kleiner Schatz, bist du zum ersten Mal hier?“

Die Bedeutung, die der Ton in den Worten 'mein kleiner Schatz' auf ihn machten, waren unheimlich. An Zhe wich reflexartig zwei Schritte zurück.

Vor ihm stand eine große Frau mit honigfarbener Haut, blauen Augen und langem braunem Haar, das in großen, gekräuselten Locken endete.

Sie lächelte ihn an.

Willst du jemanden kaufen? Oder verkaufst du dich selbst?“, fragte die Frau lächelnd, während sie ihm ins Ohr blies.

Weder noch“, An Zhe machte einen weiteren Schritt zurück und stieß gegen eine der Plastikplatten, „Ich bin in die falsche Richtung gegangen.“

In die falsche Richtung?“, fragte die Frau, „Der zweite Stock ist die Spielhölle. Wolltest du dorthin gehen?“

Sie hielt eine Zigarette zwischen den Fingern ihrer rechten Hand. Nachdem sie sie an ihre roten Lippen geführt und einen Zug genommen hatte, sagte sie lächelnd: „Pass auf, dass du dich hier nicht verlierst.“

An Zhe sah sich um, aber die Frau hatte ihn in eine Ecke gedrängt, so dass er nicht entkommen konnte. Dieser hinreißend aussehende Mensch war noch schwieriger zu handhaben als die Monster des Abgrunds.

Hab keine Angst“, sie blies eine Schwade schneeweißen Rauch aus, „Ich werde dich nicht fressen.“

An Zhe fragte: „Kannst du mich dann bitte gehen lassen?“

Die Frau lächelte wieder.

Gehen lassen?“, sie hob die Augenbrauen, „Nur Leute, die in die Enge getrieben werden, kommen in den dritten Stock. Wenn du gehst, wohin könntest du dann noch gehen?“

Während sie sprach, packte sie ihn an der Schulter und zog ihn nach vorne: „Hast du Angst vor diesem Ort? Du musst nicht hier sein. Ich werde dir ein großes Zimmer geben.“

Danke“, sagte An Zhe mit gesenktem Kopf, „Aber ich bin wirklich in die falsche Richtung gegangen.“

Hm?“

Ich will nur eine normale Arbeit finden“, sagte er, „Dann sagte mir jemand, ich solle in die dritte untere Etage gehen.“

Nur das oberirdische Stockwerk des Schwarzmarktes ist vorzeigbar.“

Nachdem sie seine Worte gehört hatte, blinzelte die Frau. Der Blick in ihren Augen war wie in Rauchschwaden gehüllt: „Du weißt nicht einmal das?“

An Zhe antwortete: „Jetzt weiß ich es.“

Er erfuhr auch, dass der 'freie Markt' im Handbuch der Basis informell auch als Schwarzmarkt bezeichnet wurde.

Die Gesetze der Basis schützen den Schwarzmarkt nicht.“

Die Frau rauchte weiter, während sie sich an die Wand lehnte und An Zhe nicht mehr in die Ecke drängte, sondern eine Lücke ließ.

An Zhe nahm an, dass dies ein Zeichen war, dass sie ihn gehen lassen würde, aber gerade als er einen Schritt nach vorne machte, sah er zwei große schwarz gekleidete Männer hinter ihr hervortreten, einer links und einer rechts, die alle möglichen Wege versperrten.

Wenn man im dritten Stock angekommen ist, kann niemand mehr gehen.“ Die Stimme der Frau war nicht mehr sirupartig-süß und charmant, sondern eisig: „Aber du hast noch einmal Glück gehabt.“

An Zhe hob den Kopf und sah sie an.

Ich gebe dir eine Chance“, sagte sie, „In Herrn Shaws Werkstatt fehlt es an Arbeitskräften. Wenn er dich will, dann bleibst du bei ihm. Wenn er dich nicht will...“

Sie brach mitten im Satz ab und wandte sich in eine bestimmte Richtung zum Gehen: „Komm.“

An Zhe blieb stehen und dachte drei Sekunden lang nach, dann ging er mit ihr tiefer hinein.

Die einzelnen Kabinen waren so dicht nebeneinander, dass es ihm vorkam, als würde er in einem Labyrinth aus Bienenwaben laufen und das Licht wurde immer schwächer und schwächer. Schließlich, am Ende des Korridors, erschien eine Tür an der grauen Wand.

Die Frau klopfte an die Tür: „Herr Shaw, ich habe etwas Geschäftliches mit Ihnen zu besprechen.“

Mit einem Knarren öffnete sich die Tür.

Drinnen stand ein alter Mann mit schneeweißem Haar und von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, mit einer Fliege um den Hals. Er musterte die Frau mit zusammengekniffenen Augen: „Doussay, welch seltener Besuch.“

Mit einem Lächeln rauchte die Frau ihre Zigarette zu Ende und drückte sie an der Wand aus: „Ich habe Sie gesucht wegen etwas.“

Wie groß ist das Geschäft?“ Der Mann namens 'Herr Shaw' schaute sie an, dann drehte er sich zu An Zhe um.

Die Frau - Doussay - stützte ihren Ellbogen auf An Zhes Schulter: „Nicht groß, nur schwierig. Ich befürchtete, Sie wären nicht einverstanden, deshalb habe ich Ihnen extra ein Begrüßungsgeschenk mitgebracht - ich habe gehört, dass Ihr Lehrling sich zu Tode gesoffen hat und dass Sie auf der Suche nach einem neuen sind. Wenn sie weiblich sind, findest du sie hässlich. Wenn sie männlich sind, sind sie meist ungeschickt. Aber sehen Sie sich meinen Jungen hier an.“

Herr Shaws verdrehte seine graublauen Augen und ließ dann seinen Blick zu An Zhe wandern: „Sieht gehorsam aus.“

Er ist tatsächlich sehr gehorsam“, Doussay schüttelte ihr langes Haar, „Ich dachte mir sofort, dass er Ihnen gefallen würde, als ich ihn sah, Herr Shaw.“

Herr Shaw lächelte.

Dann sagte er zu An Zhe: „Streck deine Hand aus, lass mich mal
einen Blick darauf werfen.“

An Zhe streckte eine Hand aus. Seine Finger waren schlank und weiß mit einem Hauch von Rosa.

Doussay, woher hast du ihn?“, fragte Herr Shaw, „Wie kann so ein Kind bereit sein, freiwillig in den dritten Stock zu kommen?“

Ich habe ihn hierher gelockt“, antwortete Doussay.

An Zhe war sprachlos.

Dann hörte er, wie Herr Shaw zu ihm sagte: „Mach eine Faust, aber langsam.“

An Zhe krümmte langsam seine Finger.

Noch einmal, noch langsamer.“

An Zhe wurde langsamer.

Noch langsamer.“

Am Ende war An Zhe so langsam geworden, dass seine Bewegungen mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen waren. Obwohl er nicht wusste, warum Herr Shaw das wollte, war es keine Herausforderung für ihn. Als er noch in Pilzform war, musste er Tausende und Abertausende von winzigen Hyphen gleichzeitig kontrollieren, während er jetzt nur fünf menschliche Finger beherrschen musste.

Schließlich wurde sogar Doussay mit einbezogen.

Herr Shaw, Sie haben hier einen wahren Schatz gehoben“, sagte sie und zündete sich eine weitere Zigarette an, „Seine Hände sind noch ruhiger als die Ihres letzten Lehrlings.“

Als Herr Shaw seine Hand betrachtete, lachte er und sagte: „Leih ihn mir für ein paar Tage. Wenn er nützlich ist, behalte ich ihn.“

Doussay antwortete: „Sie müssen dem Jungen aber einen Lohn geben.“

Abgemacht“, erwiderte Herr Shaw.

An Zhe runzelte die Stirn. Er brauchte zwar einen Lohn, aber als er das Wort 'nützlich' hörte, spürte er, dass er in Gefahr war.

Hab keine Angst... auch wenn Herr Shaw wirklich kein guter Mensch ist... “, Doussay, die seine Sorgen wohl durchschaut zu haben schien, klopfte ihm auf die Schulter, „... denn seine Kunstwerke sind viel zu teuer.“

Ich soll kein guter Mensch sein?“, Herr Shaw stieß ein höhnisches Lachen aus, „Ich bin der beste Mensch auf dem gesamten Stützpunkt!“

Mit diesen Worten drehte er sich zu An Zhe um: „Geh und sieh dich im Laden um. Ich habe etwas mit dieser Verrückten zu bespechen.“

An Zhe war der Beste im Gehorsam. Er drehte seinen Kopf zum nächsten Regal und sah einige seltsam geformte Flaschen, gefüllt mit Flüssigkeiten oder Feststoffen, auf denen nackte, menschliche Körper aufgedruckt waren. Weiter drinnen waren einige Bücher mit ähnlich aussehenden Einbänden, die er bereits kannte. Ein großer Grund, warum die Abteilung, für die An Ze früher geschrieben hatte, geschlossen wurde, war, dass sich niemand für den Lesestoff, den die Basis herausgab, interessierte, während die pornografischen Lektüren, die auf dem Schwarzmarkt kursierten, sehr gefragt waren.

Unter dem Regal befand sich das durchsichtige Glasfenster einer Vitrine, in der Zigaretten lagen, und in einer anderen Schublade direkt daneben lagen sehr viele USB-Laufwerke.

In diesem Moment hörte er Teile der Unterhaltung von dort, wo Herr Shaw stand: „Der Junge ist gut. Dass du mir ein so großes Geschenk machst, obwohl du doch immer so geizig bist, heißt für mich, dass das Geschäft, das du mit mir besprechen willst, außergewöhnlich sein muss.“

Das Geräusch eines Feuerzeugs ertönte aus der Nähe von Herrn Shaw und die Konzentration des Rauches im Raum verdoppelte sich. „Der Junge wurde einfach zufällig aufgegriffen“, Doussay kicherte.

Die Sache, um die ich Sie bitten wollte, Herr Shaw, ist in der Tat nicht einfach.“

Schon in Ordnung“, sagte Herr Shaw in einem unbekümmerten Ton, „Solange du genug Geld dafür hast.“

Sie werden es vielleicht nicht wagen...“, murmelte Doussay.

Wenn du eine größere Anzahlung leistest, dann werde ich es wagen“, erwiderte Herr Shaw daraufhin.

Mit einem spöttischen Lachen sprach Doussay nur zwei Worte: „Der Schiedsrichter“, sagte sie, „Trauen Sie sich, ihn zu machen, Herr Shaw?“

An Zhe war fassungslos.

Er wusste nicht, wie die Worte 'der Schiedsrichter' mit diesen beiden Personen auf dem Schwarzmarkt in Verbindung gebracht werden konnten.

Auch Herr Shaw schwieg.

Schließlich sagte er: „Ich erschaffe nur tote Menschen und keine Lebenden, damit ich keinen Ärger bekomme, und du willst mir den größten Ärger der gesamten Basis auf mich ziehen.“

Um die Wahrheit zu sagen, ich habe einen Freund, der verrückt nach dem Oberst ist und ihn unbedingt haben will“, sagte Doussay, „Sie wissen sicherlich, dass kein lebender Mensch es wagt, sich dem Schiedsrichter auf drei Metern zu nähern. Es gibt daher keine andere Möglichkeit, als eine Fälschung von Ihnen zu kaufen. Der Käufer wird sie einfach zu Hause aufbewahren, so dass sie definitiv keine Probleme machen wird. Was den Preis angeht, so liegt das ganz bei Ihnen.“

Herr Shaw lächelte, sagte aber nichts.

Zur gleichen Zeit ging An Zhe langsam tiefer in den Laden hinein.

Seine Füße kamen zum Stillstand, denn er war gegen etwas getreten. Er blickte nach unten und sah eine weiße Hand, die ganz allein auf dem Betonboden lag. Nach ihrem Zustand zu urteilen, war sie gerade erst abgetrennt worden, aber die Stelle, an der sie abgetrennt worden war, war glatt und sauber, und es war kein Blut zu sehen.

An Zhe hockte sich hin und stocherte in der Haut der Hand. Sie war sehr weich, wie eine menschliche Hand, aber es war keine Hand. Es war eine Handattrappe.

Er hörte mit seiner näheren Betrachtung auf und erhob sich wieder.

Mit dieser Bewegung begegnete er dem Blick einer Person, die in einer Glasvitrine stand. Im schummrigen Licht starrten ihn ein Paar schwarzer Augen direkt an. Die Hälfte des Körpers der Person war in der Dunkelheit verborgen, was ein wenig erschreckend war.

An Zhe sah ihn eine Weile an. Drei Minuten später hatte er immer noch nicht beobachten können, ob diese Person atmete.

Vielleicht war das, genau wie diese falsche Hand, ein falscher Mensch, dachte er.

Erschrocken?“, Herr Shaws Stimme ertönte plötzlich hinter ihm.

Mir geht es gut“, sagte An Zhe.

Herr Shaw fragte: „Sieht sie echt aus?“

Ja“, antwortete An Zhe wahrheitsgemäß.

Er hörte Herrn Shaw mit seiner rauen Stimme lachen, bevor er einen Schalter an einer Seite drückte. Die Beleuchtung in dem Raum wurde viel heller.

Schließlich sah An Zhe den Mann hinter der Glasscheibe ganz deutlich. Er war schwarz gekleidet und hatte einen großen und schlanken Körperbau und gepflegte, gut aussehende Gesichtszüge. Das Licht schien auf sein Gesicht, wodurch eine dünne,
schimmernde, weiße Schicht reflektiert wurde und ihm unwillkürlich ein leichtes Frösteln beschwerte.

Hast du schon einmal von Hubbard gehört, dem Anführer des Söldnerteams AR137?“, fragte Herr Shaw.

An Zhe schwieg. In dem Raum war nur der Klang der Stimme von Herrn Shaw zu hören: „Er ist einer der mächtigsten Söldner. Wenn er sein Team an Orte mit Fünf-Sterne-Gefahrenstufen bringt, so ist es dennoch ein Kinderspiel für ihn. So einer muss Geld haben, nicht wahr?“

An Zhe gab einen bejahenden Laut von sich.

Er wusste, dass die von draußen mitgebrachten Materialien in den Nachschubdepots des Militärs gegen die Währung der Basis getauscht werden konnte, also fehlte es diesen Söldnern sicherlich nicht an Geld.

Herr Shaw zeigte auf die Person, die im Schaufenster stand: „Das ist sein Vizekapitän. Sie sind zusammen aufgewachsen und wurden dann, als sie volljährig waren, gemeinsam Söldner. Seit mehr als zwanzig Jahren hatten sie eine Freundschaft, in der sie ihr Leben füreinander eingesetzt hatten. Als sie das letzte Mal in die Wildnis gingen, starb er, ohne auch nur ein einziges Körperteil zu hinterlassen. Was für eine Tragödie.“

Bei diesen Worten brach Herr Shaw in schallendes Gelächter aus: „Drei Monate nach seinem Tod kam Hubbard zu mir. Es schien, als hätte er sogar seinen eigenen Geist verloren. Er gab mehr als die Hälfte seines Vermögens aus, um diese Person zu kaufen und bat mich, nicht einen Fehler zu machen, auch nicht mit einem einzigen Haar auf seinem Kopf. Was mich betrifft, so wage ich es definitiv nicht, Fehler zu machen. Abgesehen davon, dass der Typ nicht lebendig ist, ist alles andere mit dem Original absolut identisch.“

Herr Shaw seufzte: „Schließlich müssen die Käufer den Rest ihres Lebens mit dem Anblick einer falschen Person leben. Als ich früher Puppen gemacht habe, so waren sie für Leute, die sie zum Vergnügen haben wollte. Puppen von der aufblasbaren Art. Später dachten alle, dass die Puppen, die ich gemacht habe, wie lebende Menschen aussehen - je leichter es für die Menschen ist, da draußen in der Wildnis zu sterben, desto leichter ist es für die Menschen innerhalb der Basis, verrückt zu werden. Aber so wurde mein Handwerk wertvoll.“

Herr Shaw klopfte ihm auf die Schulter: „Lerne fleißig bei mir und in zehn Jahren hast du mehr Geld als jeder andere Söldner.“

Als An Zhe Herrn Shaw ansah, erinnerte er sich an sein vorheriges
Gespräch mit Doussay und fragte: „Werden Sie dann den Schiedsrichter machen?“

Ja, warum nicht?“, Herr Shaw lächelte, „Der mächtige Schiedsrichter ist so sehr damit beschäftigt, Menschen zu töten, dass er sich nicht um solchen Mist kümmern wird.“



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