18.
"DOKTOR JI, SIE ZAUDERN."
„PRÄLIMINARISCHE Infektion,
Infektionsfortschritt zwanzig Einheiten, dreizehn tierähnliche
Ziele, was auf eine Arthropodenmutation schließen lässt.“
Der Arzt ging hinüber, während er einen dicken Bericht in der Hand hielt und diesen dann Lu Feng vorlegte: „Wie kommt es, dass es überall, wo Sie hingehen, Xenogenics gibt?“
Lu Feng nahm den Bericht in die Hand.
Der Arzt verschränkte die Arme und sagte: „Ich bin zudem überrascht, dass Sie ihn nicht auf der Stelle erschossen haben.“
„Ich bin nicht vertraut mit den Infektionsmerkmalen bei Kindern“, antwortete Lu Feng.
„Dann töten Sie ihn nicht. Überlassen Sie ihn mir als Probe.“
„Wie du willst.“
„Bei Arthropodenmutationen gibt es nicht viel zu sagen“, der Arzt sah sich den Bericht in seinen Händen an, „Warum gehen Sie nicht und bereiten sich auf dieses Treffen vor. Da eine Infektion in der Hauptstadt aufgetreten ist, und noch dazu bei einem Kind vom Garten Eden, habe ich es bereits gemeldet. Das ist keine Kleinigkeit.“
„Arthropode“, sagte Lu Feng, „Hat es irgendeine Verbindung mit dem, was zuvor in der Äußeren Stadt geschehen ist?“
„Die endgültigen Untersuchungsergebnisse über den Insektenschwarm in der Äußeren Stadt wurden erst heute veröffentlicht. Es wurde festgestellt, dass es sich um eine einmalige kollektive Aktion von mutierten Insekten unter dem Druck der Brutzeit gehandelt hat“, die Stimme des Arztes war sehr leise, und sein Gesichtsausdruck war ernst, „Aber wir wissen nicht genau, welche Methode sie benutzt haben, um sich untereinander zu verständigen, oder ob es eine Kommandantenrolle gab. Aber... die Hauptstadt ist von oben bis unten uneinnehmbar, also können Dinge von außen nicht eindringen.“
Er nahm einen tiefen Atemzug und dachte dann mit geschlossenen Augen laut nach: „Selbst wenn es in der Hauptstadt zu einem Ausbruch gekommen wäre, dann könnte man sich das nur durch das Entweichen einer xenogenen Probe aus dem Leuchtturm erklären. Also warum tritt die Infektion stattdessen bei einem Kind aus dem Garten Eden auf?“
Lu Feng sah sich den Bericht einmal an und blickte dann zu An Zhe. Als Si Nans Lehrer trug An Zhe die Verantwortung, mit ihnen zum Leuchtturm mitzukommen.
„An welchen Orten ist er schon gewesen?“, fragte Lu Feng.
„Er war die ganze Zeit mit den anderen Kindern zusammen“, sagte An Zhe, „Als ich gestern Abend meine Arbeit beendet habe, haben sie entweder die Nachrichten geschaut oder bereits geschlafen. Heute Morgen haben sie eine Prüfung im Klassenzimmer geschrieben, und am Nachmittag waren sie auf dem Militärgelände.“
Lu Feng sagte: „Kontaktiere seinen Lehrer und seinen Wohnheimlehrer.“
An Zhe bejahte die Aufforderung.
Nachdem er Lin Zuo angerufen und ihm die Situation erklärt hatte, dachte er eine Weile nach und sagte dann: „Ich könnte ihn fragen... Er ist sehr schlau.“
Lu Feng brummte als Antwort.
Also ging An Zhe zu der versiegelten Glastür - Si Nan war als einer der Infizierten von den anderen Menschen isoliert und sein derzeitiger Aufenthaltsort war eine silberweiße Zelle in einem Labor.
Im Inneren dieser Zelle befand sich eine sehr kleine Gestalt. Si Nan saß allein auf einem silbrig-weißen Seziertisch, den Kopf leicht gesenkt. Er hatte immer noch denselben gleichgültig-kalten Gesichtsausdruck, als ob alles, was draußen geschah, nichts mit ihm zu tun hätte.
Ein Geräusch ertönte hinter An Zhe. Lu Fengs Kommunikator läutete hektisch und zeigte die Ernsthaftigkeit der gesamten Situation. Binnen von zwei oder drei Minuten waren bereits drei Gruppen von Leuten hierher gekommen, um ihn aufzusuchen. Lu Feng sagte etwas zu dem Arzt, stand dann auf und ging auf den Korridor hinaus.
Vor und hinter der Glastür befanden sich Audiogeräte.
An Zhe nahm den Hörer ab: „Si Nan.“
Si Nan schaute ihn an.
„Weißt du, was mit dir passiert ist?“, fragte An Zhe.
Si Nan nickte.
„Weißt du auch, warum das so ist?“, fragte An Zhe, „Hast du im Garten Eden irgendetwas Seltsames gesehen?“
Si Nan schaute An Zhe mit seinen
tiefschwarzen Augen direkt an.
Dieser Blick schien ihn durchbohren
zu wollen. In diesem Augenblick verstand An Zhe plötzlich,
warum Xenogenics und Menschen Unterschiede hatten, die man mit
bloßem Auge unterscheiden konnten - diese Art von Blick war
wie ein... ein... etwas, das sich von einem Menschen unterschied.
Wenn ein Augenpaar wie dieses bei einem Monster des Abgrunds
existierte, würde er nicht das geringste Unbehagen empfinden. Nach
einer Minute des Schweigens sagte Si Nan: „Nein.“
„Denk noch einmal ein bisschen mehr darüber nach“, An Zhe bemühte sich, den Sprössling zu lenken, „Was hast du gestern gemacht? Warst du die ganze Zeit mit deinen Klassenkameraden zusammen?“
Si Nan sah ihn nur mit diesem dunklen Blick an. Egal, was An Zhe fragte, er sagte nichts mehr. Gerade als sie in eine Patt-Situation gerieten, klingelte auch der Kommunikator des Arztes und An Zhe sah hinüber.
Der Arzt drückte die Taste für den Freisprechmodus, und Lin Zuos Stimme ertönte. Sein Tonfall war sehr gleichmäßig, aber er sprach schnell. An Zhe wusste, dass dies das Verhalten von Menschen war, wenn sie sich zwangen, ruhig zu bleiben.
„Wir haben das gesamte Filmmaterial der letzten drei Tage abgerufen, und er ist immer mit anderen zusammen gewesen. Er verließ allerdings den Bereich der Überwachung, wenn er die Toilette benutzte und während gelegentlicher Freizeit, aber das ist normal. Die längste Dauer seiner Abwesenheit betrug nicht mehr als drei Minuten, und er konnte sich nur auf dem Korridor in unserem Stockwerk bewegen“, sagte Lin Zuo, „Es gibt überhaupt keine Anomalien im Garten Eden. Könnte er sich auf dem Weg zur Ausbildungsstätte oder in der Trainingsbasis selbst infiziert haben? Ich habe gehört, dass die Infektion bei einem Kind viel schneller ausbricht als bei einem Erwachsenen.“
„Es tut mir sehr leid, Herr Lin. Obwohl Kinder schneller infiziert werden als Erwachsene, muss ich Ihnen mitteilen, das basierend auf dem Grad der morphologischen Veränderungen in seinen Gewebezellen, bei ihm eine Infektion vor mindestens fünfzehn bis zwanzig Stunden stattgefunden hat.“
Lin Zuo schwieg eine Weile, bevor er sagte: „Wenn das der Fall ist, dann ist er tatsächlich im Garten Eden infiziert worden - aber die anderen Kinder und Lehrer im Garten Eden sind alle ganz normal, ohne jegliche Anzeichen einer Infektion.“
„Bitte keine Panik“, sagte der Arzt, „Wir warten derzeit auf weitere Anweisungen von höherer Stelle. Spätestens um drei Uhr wird sich der Leuchtturm mit dem Prozessgericht zusammen-schließen, um die Kinder, die sich während dieser Zeit in der sechsten Etage bewegt haben, genauer zu untersuchen. Bitte bereiten Sie sich auf die Zusammenarbeit vor.“
Lin Zuo sagte: „Okay.“
„Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis. Wenn es sonst nichts gibt...“, sagte der Arzt.
„Warten Sie“, unterbrach ihn Lin Zuo hastig.
„Haben Sie noch andere Hinweise?“, fragte der Arzt.
„Es ist kein Hinweis, aber ich hoffe, es kann Ihnen helfen“, sagte Lin Zuo, „Si Nan war schon immer ein sehr seltsames Kind... Sein IQ ist sehr hoch, aber sein Geisteszustand war schon immer sehr... dissoziativ. Ich habe ihn aufwachsen sehen, und ich bin sicher, dass es Unterschiede in seiner Denkweise oder seinen Sinnen gibt im Vergleich zu den anderen Kindern.“
„Danke für diese Information. Ich werde es mir ansehen“, sagte der Arzt, „Der Schiedsrichter ist zurückgekehrt. Wir werden gleich aufbrechen, also lassen Sie uns alle weiteren Einzelheiten be-sprechen, wenn wir bei Ihnen vor Ort sind.“
Lin Zuo erwiderte: „In Ordnung.“
Lu Feng kam zurück in den Raum.
„Wie sieht's aus?“, fragte der Arzt.
„Der Garten Eden und die Trainingsbasis wurden bereits unter Kriegsrecht gestellt“, sagte Lu Feng, „Wir zählen gerade die Anzahl der Leute und werden in zehn Minuten aufbrechen.“
„Okay“, sagte der Arzt.
Lu Feng sah zu Si Nan auf, der im Laboratorium war.
„Und wie sieht's bei Ihnen aus?“
Der Arzt zuckte mit den Schultern. Lu Feng ging nach vorne und stellte sich neben An Zhe. Si Nans Blick richtete sich langsam auf Lu Feng, und in diesem Moment bemerkte An Zhe, dass seine schwarzen Augen, die ursprünglich klare Ränder hatten, sich langsam radial nach außen ausbreiteten, ähnlich wie bei Spinn-weben, die sich nach außen ausdehnten.
Lu Feng sagte: „Zehn Stunden.“
An Zhe war verblüfft. Er wusste, was Lu Feng meinte.
Innerhalb von zehn Stunden würde sich Si Nan vollständig von einem menschlichen Sprössling in ein irrationales Monster verwandeln.
Er rief Si Nans Namen noch einmal, um zu versuchen, ein wenig Kommunikation herzustellen. Aber er sah, dass Si Nans Blick unbeweglich auf Lu Feng gerichtet war, und Lu Feng erwiderte den Blick. Si Nan öffnete seinen Mund. Die Stimme des Jungen war kindlich, aber er spuckte vier Worte in einem eiskalten Ton aus: „Ihr werdet alle sterben.“
Lu Feng lächelte.
Er nahm den Hörer aus An Zhes Hand.
„Es gibt keinen Menschen, der nicht sterben wird“, sagte er, „Und doch wird die Menschheit überleben.“
Damit legte er den Hörer wieder auf, drehte sich um und trat wieder zurück.
An Zhe verglich sie. Was die eiskalte Miene und den Tonfall anging war der Oberst immer noch überlegen.
Ein paar Forscher übernahmen die Kontrolle über Si Nan, und eine Trennwand fuhr nach oben. Der Arzt sagte: „Dieses Kind ist sehr seltsam.“
„Ich werde die Leute für die Befragungen herbringen lassen“, sagte Lu Feng.
„Danke für die Mitarbeit“, antwortete der Arzt.
Genau in diesem Moment ertönte das windige Geräusch wieder in An Zhes Ohren. Er schaute sich um und sah ein ähnlich verstecktes rundes Loch an der Verbindung zwischen Decke und Wand.
„Oberst Lu“, sagte An Zhe und zupfte sanft an Lu Fengs Ärmel, „Was ist das?“
Lu Feng folgte seinem Blick und schaute zur Decke hinauf. Dann sagte er: „Das ist ein Lüftungsschacht.“
An Zhe blinzelte.
„Hast du noch nie einen gesehen?“, fragte der Arzt, „In der Äußeren Stadt gab es sie nicht, weil sie später gebaut wurde.“
Der Arzt war immer bereit, anderen sein Wissen zu erklären. An Zhe stellte also weiter Fragen: „Wozu sind sie da?“
„Zur Luftversorgung“, die Antwort des Arztes war sehr einfach.
Dann erklärte er: „Als die Hauptstadt gebaut wurde, war das Magnetfeld noch nicht ganz verschwunden, und die industriellen Fähigkeiten der Menschheit waren noch auf ihrem Höhepunkt. Um eine Basis zu errichten, die der kosmischen Strahlung und dem Sonnenwind widerstehen konnte, wurden die Wände aller Gebäude hier vier- bis fünfmal dicker als die von gewöhnlichen Gebäuden gebaut, und die Materialien sind besonders. Die Gebäude sind komplett geschlossen und verlassen sich auf die Belüftungssysteme, um innen für saubere Luft sorgen. Damit die Hauptstadt überleben konnte, musste mindestens ein Erste-Klasse-Belüftungssystem mit Auszeichnung eingebaut werden“, er lächelte, „Nachdem die künstlichen Magnetpole gebaut wurden, begannen verschiedene Mutationen. Bevor das Ultraschall-dispersionsgerät erfunden worden war, gab es überall Insekten, also hat die Hauptstadt dreischichtige Filter- und Strangulationssysteme an den Luftein- und Auslässen des Belüftungssystems angebracht, um sicherzustellen, dass kein einziges Insekt hinein-fliegen konnte.“
Einen kurzen Moment war es still, dann für der Arzt fort: „Mit anderen Worten, egal was passiert, solange wir die Ein- und Ausgänge an den Stadttoren kontrollieren, wird die Hauptstadt absolut sicher sein“, während er eine E-Mail auf seinem Computer tippte, sprach er fast mit sich selbst, „Also wie genau konnte diese Infektion überhaupt passieren? Das ergibt doch alles keinen Sinn. Und außerdem, sind die anderen Kinder des Gartens Eden alle gesund.“
An diesem Punkt stoppten seine Bewegungen und er sah Lu Feng an: „Ich habe gehört, dass gestern ein Mädchen aus dem Garten Eden geflohen ist.“
„Ich habe nachgefragt“, sagte Lu Feng, „Das Mädchen ist völlig normal.“
Der Arzt runzelte noch tiefer die Stirn und tippte einige Informationen auf der Tastatur ein. Lu Feng schaute auf den Computerbildschirm.
„Schreibst du der Unterirdischen Stadtbasis?“
„Wegen der Ereignisse, die in letzter Zeit passiert sind, habe ich ein wenig... Angst“, der Arzt holte tief Luft, „Ich möchte wissen, inwieweit sich die Monster in Nordamerika entwickelt haben. Aber der Notfallkanal zwischen unseren Basen war schon immer den Launen des Schicksals unterworfen, und es ist fast sicher, dass wir keine Antwort erhalten werden.“
Mit diesen Worten klickte er auf 'Senden', und An Zhe sah, wie er eine identische E-Mail an einen anderen Empfänger mit der Bezeichnung 'Forschungsinstitut' schickte.
„In Ordnung“, der Arzt schloss das Interface, „Ich werde jetzt das Instrument kalibrieren.“
„Ich werde zuerst in den Garten Eden gehen“, sagte Lu Feng.
Der Korridor des Leuchtturms war lang und weiß, beleuchtet von einem kaltem Licht. Im Korridor befand sich ein Pausenraum und als sie die Tür aufstießen und hinausgingen, küssten sich zwei Forscher in weißen Kitteln im Pausenraum. Nachdem sie Schritte von draußen gehört hatten, packte einer der Forscher den anderen und drehte sich um, und die beiden verschwanden in den Tiefen des Pausenraums.
Dieser Anblick schien Lu Feng zu missfallen, denn er runzelte leicht die Stirn: „Disziplin ist hier wohl ein Fremdwort.“
„Es lässt sich nicht ändern“, sagte der Arzt, „Je mehr wir forschen, desto verzweifelter werden wir. Im Moment ist der Leuchtturm von oben bis unten mit einem Hauch von 'Carpe Diem' durchzogen. Man kann von uns daher nicht die Disziplin des Militärs abverlangen. Ich selbst fühle mich auch manchmal hoffnungslos.“
Lu Feng sagte nichts. An einer Gabelung führte er An Zhe in eine andere Richtung und sie gingen in die entgegengesetzte Richtung als der Arzt.
An diesem Nachmittag folgte An Zhe Lu Feng blindlings. Der Grund war, dass er nicht wusste, wohin er gehen sollte. Er konnte nur als Aushilfskraft im Garten Eden betrachtet werden, also hatte er gerade auch keine anderen Befehle oder Anweisungen. Doch obwohl er praktisch verfolgt wurde, schien Lu Feng damit kein Problem zu haben. Während er die Kinder des Garten Eden untersuchte, ließ er sogar An Zhe in die Haupthalle gehen, um sich auszuruhen.
So las An Zhe auf dem Sofa in der Haupthalle ein Buch und an der Wand vor ihm stand der blutrote Slogan 'Die Interessen der Menschen haben Vorrang vor allem anderen'.
Um 16 Uhr brachte der Arzt die anderen in den Garten Eden. Er war ein wenig entmutigt, während er mehrere Untergebene anleitete, das Detektionsgerät in der Halle in Betrieb zu nehmen.
Seraing war von Lu Feng geschickt worden, um bei der Arbeit des Arztes zu unterstützen. Der junge Richter sah das Instrument in der Mitte der Halle und runzelte leicht die Stirn: „Es gibt nur ein Gerät?“
„Was hast du erwartet?“, fragte der Arzt, „Das andere wurde am Eingang der Hauptstadt zurückgelassen, um die zurückkehrenden Söldner, die ursprünglich sonst in die Äußere Stadt gehen würden, zu untersuchen.“
„Mit anderen Worten, der gesamte Stützpunkt hat derzeit nur zwei dieser Instrumente?“, fragte Seraing.
„Ich glaube, du verstehst da etwas falsch, Schätzchen. Hast du dich nicht über die derzeitige industrielle Produktionskapazität unserer Basis informiert?“, entgegnete der Doktor, „Für hochpräzise Großgeräte wie diese Detektoren, sind zwei Einheiten bereits die Grenze.“
„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte Seraing.
„Das ist schon in Ordnung“, der Arzt winkte ab, „Fangt ihr schon einmal mit eurem Teil der Untersuchung an und wir werden dann mit diesem Instrument nach und nach alle langsam prüfen.“
Seraings Ton wurde ernst: „Das Gericht hat kein spezielles Training für Kinder durchgeführt.“
Der Arzt sagte: „Ich glaube an die Sehkraft und die Gabe des Schiedsrichters. Er wird mit Sicherheit in der Lage sein, weitere infizierte Körper aufzuspüren.“
Während sie sich unterhielten, hörte man die Schritte von Lu Feng zu ihnen herüberkommen.
„Die Untersuchung des fünften, sechsten und siebten Stockwerks ist abgeschlossen“, sagte Lu Feng in seinen Kommunikator, „Keine mutmaßlich Infizierten wurden gefunden.“
An Zhe sah, wie die Hand des Arztes zitterte, während er den Steuerknüppel des Instruments einstellte. Lu Feng ging an ihm vorbei: „Diese Seite hier überlasse ich euch.“
Das Gesicht des Arztes war aus irgendeinem Grund ein wenig blass, als er sagte: „In Ordnung.“
Dann sagte er noch: „Der Leuchtturm hat viele xenogene Proben. Da die Infektion im Garten Eden aufgetreten ist, befürchte ich, dass ein Unfall auch im Leuchtturm passieren könnte. Könnten Sie einen Antrag auf eine vorübergehende Stationierung des Gerichts beim Zentrum der Vereinigten Front beantragen?“
Lu Feng fragte: „Wie hoch ist meine Autorität?“
Der Arzt sagte: „Die gleiche wie meine.“
„In Ordnung.“
Er ging zum Eingang des Fahrstuhls. An Zhe sah ihm schweigend hinterher. Dann sah er, wie der Mann sich umdrehte und ihn ansah. In diesem Blick stand ein Befehl geschrieben.
Komm her.
An Zhe legte das Buch in seinen Händen nieder und folgte ihm gehorsam.
Genau in diesem Moment.
„Lu Feng“, rief der Arzt plötzlich.
Lu Feng drehte sich nicht um: „Was ist?“
An Zhe drehte sich leicht um und sah, dass der Arzt in ihre Richtung blickte. In seinen azurblauen Augen lag ein verlorener Blick, und ihre Ränder waren leicht gerötet.
„Vor hundert Jahren gab es bei Verwundungen nur eine dreißigprozentige Infektionsrate, und leichte Kratzer oder Stiche führten überhaupt nicht zu Mutationen. Aber in den letzten Jahren hat sich die Situation ständig verschlechtert. Besonders in diesem Jahr ist die Infektionsrate in die Höhe geschnellt. Wir wissen, dass selbst eine Wunde von der Größe eines Nadelöhrs zu einer Infektion führen kann. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, ob nicht irgendwann der Tag kommen wird, an dem wir gar nichts mehr tun können und unsere Gene trotz allem mutieren und wir alle zu Xenogenics werden.“
Lu Feng bewegte sich weder, noch sprach er. Mit einem Klingeln kündigte der Aufzug seine Ankunft an und die silbernen Türen öffneten sich leise.
Die Stimme des Arztes war leicht zittrig: „Im Garten Eden gibt es keine Monster oder Xenogenics. Die Infektion dieses Kindes geschah ohne Grund, und wir wissen immer noch nicht, was die Infektion verursacht hat oder wie sie sich ausbreitet. Der Leuchtturm kann das Virus nicht einfangen und weiß nicht, wie er sich dagegen wehren kann. Wenn diese Dinge bereits wie eine Epidemie in unser Inneres gekrochen sind... Die schwächsten Kinder werden aufgrund ihrer individuellen Konstitution immer zuerst infiziert.“
Er schnappte nach Luft: „Was genau sollen wir dann tun?“
„Doktor Ji“, Lu Fengs Stimme war kalt, „Sie zaudern.“
Mit diesen Worten legte er seine rechte Hand auf An Zhes Schulter und schob ihn in den Aufzug, ohne auch nur einen Blick nach hinten zu werfen.
Nachdem sie das Wohngebäude erreicht hatten und aus Lu Fengs Auto ausgestiegen waren, sagte An Zhe: „Danke.“
„Kein Problem“, antwortete Lu Feng, „Was hast du heute zum Essen geplant?“
„Ich will etwas kochen“, sagte An Zhe.
„Kartoffelsuppe?“
„Mm-hm.“
„Schmeckt sie dir?“
An Zhe dachte eine Weile ernsthaft darüber nach.
„Ich mag sie“, sagte er, „Aber ich habe auch kein Geld, um mir etwas anderes zu kaufen.“
„Das verstehe ich“, sagte Lu Feng, „Heute Abend lade ich dich zu etwas anderem ein.“
„Warum das?“, fragte An Zhe.
Lu Feng sagte: „Als Dank dafür, dass du mir bei der Entdeckung eines Xenogenics geholfen hast.“
Diese Worte klangen aufrichtig. Nur durch ihn hatte Lu Feng Si Nan bemerkt. So erhielt An Zhe die Möglichkeit, sich aus dem Sortiment der Lebensmittelversorgung Zutaten auszuwählen. Anhand des Menüs, das er plante, kaufte er schließlich Tomaten, Kartoffeln und gefrorenes Rindfleisch. Der Preis für das Rindfleisch war sehr hoch, und es war mit einem speziellen Etikett versehen, das darauf hinwies, dass die Produktion bald eingestellt werden würde. Er war eine Zeit lang unschlüssig, ob er es kaufen sollte oder nicht, aber während er noch darüber nachdachte, hatte Lu Feng bereits seine Karte durchgezogen und bezahlt. Der Saldo, der anschließend auf der Kartenmaschine zu lesen war ließ An Zhe die Unterschiede zwischen Menschen deutlich erkennen.
Neben den Zutaten standen einfache Zubereitungsanweisungen. An Zhe wusste nichts anderes, also kochte er wieder Suppe. Während die Suppe kochte, entdeckte An Zhe etwas. Er stand an Ort und Stelle und beobachtete schweigend die leicht unruhige Oberfläche des Wassers im Topf.
Die Suppe war sehr dick geworden, und die Kartoffeln waren völlig aufgeweicht. Das leichte süß-saure Aroma der Tomaten und der Duft des Rindfleischs vermischten sich und bildeten einen Geruch, der sich von dem einer Kartoffelsuppe unterschied. Der Geruch war sehr köstlich.
Aber...
Lu Feng schaute ihn an: „Was ist denn?“
„Ich...“, An Zhe hob den Kopf und sah Lu Feng an.
Diesmal erwiderte Lu Feng den Blick mit seinen grünen Augen, und durch die weißen Dampfschwaden hindurch wirkten sie nicht mehr so grimmig.
„Ich...“, sagte An Zhe, „Ich scheine zu viel gemacht zu haben.“
„Zu viel?“, Lu Feng ging zu ihm hinüber, beugte sich leicht vor und schaute in den Topf. Es war wirklich zu viel, wusste An Zhe. Er hatte zu viele Zutaten und zu viel Wasser hinzugefügt. Wenn er Kartoffelsuppe kochte, und um die Kartoffeln etwas weicher und die Suppe etwas dicker zu machen, fügte er gerne zu Beginn viel Wasser hinzu und reduzierte dann langsam die große Menge zu einer sehr kleinen Menge Suppe.
Die Prinzipien dieser Suppe schienen jedoch anders zu sein als bei der Kartoffelsuppe - wenn er sie weiter reduzierte, würden die restlichen Zutaten auseinanderfallen, und dann würde sie zu einem Topf unansehnlichen Breis werden.
Er schätzte, dass diese Suppe, selbst wenn man sie in Portionen für drei Personen aufteilen würde, mehr als genug wäre. Lu Feng sagte: „Das ist wirklich zu viel.“
An Zhe dachte angestrengt nach und kam schließlich zu einer korrigierenden Maßnahme: „Ich kann Colin zum Essen einladen.“
Lu Feng drehte sich um und warf ihm einen schiefen Blick zu. Aus diesem schiefen Blick entnahm An Zhe scharfsinnig eine Andeutung von Desinteresse von Lu Feng. Es schien, dass das Kochen von zu viel Suppe zu einem schweren Fehler geworden war.
Lu Feng sagte: „Seraing wohnt in Nr. 3202. Geh und gib ihm eine Portion.“
Nachdem er an der Tür von Nr. 3202 geklingelt hatte, öffnete Seraing die Tür sehr schnell von innen.
„Du bist es?“, er schien leicht überrascht zu sein.
An Zhe reichte ihm die Thermoskanne: „Ich habe Suppe gemacht. Hier ist eine Portion für dich.“
„Wow“, sagte Seraing, „Ich danke dir. Ich wollte gerade zum essen gehen.“
An Zhe gab ihm die Suppe und sagte: „Gern geschehen.“
Seraing meldete sich wieder zu Wort: „Warum... Hast du mir das geschenkt? Vielleicht schmeckt sie dem Oberst auch.“
An Zhe war einen Moment lang unsicher, was er antworten sollte. Schließlich sagte er: „Der Oberst hat auch schon eine Portion.“
Seraing lächelte: „Das habe ich mir schon gedacht. Es war also der Oberst, der dir erzählt hat, dass ich hier wohne?“
An Zhe nickte.
Seraing bat An Zhe in seine Wohnung hinein und holte, nachdem er die Thermoskanne auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte, etwas in rosa eingewickeltes aus einer Schublade - so wie es aussah, schien es ein menschlicher Snack zu sein.
Er drückte es An Zhe in die Hand und sagte: „Ich schenke dir ein paar Süßigkeiten.“
An Zhe sagte: „Danke.“
Seraing fragte: „Hast du dich schon an das Leben in der Hauptstadt gewöhnt? In welchem Stockwerk wohnst du?“
An Zhe antwortete: „Ich wohne in Nr. 3702.“
„Mein Gott“, Seraing lächelte, „Was für ein Zufall.“
Draußen wehte ein starker Sturm, und das heulende Geräusch des Windes war deutlich im Rohr in Seraings Zimmer zu hören. An Zhe blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
„Die Lüftungsrohre waren ursprünglich geschlossen, aber im Sommer, wenn der Wind stark ist, werden sie für eine kurze Zeit geöffnet, um zu verhindern, dass das Innere der Rohre zu feucht wird. Während dieser Zeit ist es immer etwas laut. Manchmal ist es sogar so laut, dass selbst diejenigen, die von Kindesbeinen an in der Hauptstadt leben, nicht schlafen können. Aber es gibt keinen Grund, Angst zu haben.“
Der Tonfall von Seraing war sehr sanft. Als er zu Ende gesprochen hatte, lächelte er wieder: „Aber der Oberst hat dich wahrscheinlich deswegen schon beruhigt.“
An Zhe war verwirrt.
Erstens hatte er keine Angst, also brauchte er auch nicht beruhigt zu werden, und zweitens hatte Lu Feng ihn noch nie beruhigt.
Er sagte: „Hat er nicht.“
„... Vielleicht hat er es vergessen.“
An Zhe spürte, dass Seraing Lu Feng für einen zu netten Menschen hielt und das ihre Beziehung zueinander wohl sehr gut sein musste.
Er kehrte in die Nr. 3702 zurück, wo der Oberst unerwartet den Tisch selbst gedeckt hatte – aber leider war, auch wenn sie einen Teil davon verschenkt hatten, immer noch eine ganze Menge Suppe übrig.
Die eiskalten grünen Augen eines gewissen Oberst sahen ihn an: „Du schaffst das schon.“
„Ich kann nicht mehr.“
„Du solltest die Ressourcen der Basis nicht so verschwenden.“
An Zhe schaufelte sich noch ein kleines Stück Rindfleisch mit seinem Löffel in den Mund und bemühte sich, es hinunter-zuschlucken. Nachdem er seine eigene Portion aufgegessen hatte, war er von Lu Feng gezwungen worden, sich dem Rest im Topf zu stellen, und nun war die Hälfte davon weg.
Lu Fengs Tonfall war flach: „Los, weiter.“
An Zhe aß ein weiteres Stück Kartoffel und einen Löffel Suppe. Er hatte das Gefühl, dass er seine Grenze erreicht hatte. Der Appetit der Menschen hatte Grenzen, auch wenn diese Suppe sehr köstlich war.
Er würde gleich alles erbrechen.
Er hob den Kopf und sah Lu Feng flehend an.
Aber dann sah er, wie dieser ihn ansah: Die Augenbrauen leicht hochgezogen und einem Hauch von stiller Freude in seinem Ausdruck.
An Zhe war sprachlos.
Er hätte es längst wissen müssen. Das Ziel von Lu Feng war nicht die Ressourcen des Stützpunktes zu schonen. Das Glück des Oberst war darauf aufgebaut, ihn zu schikanieren!
Er runzelte leicht verärgert die Stirn. Diesmal sagte er mit einer entschlossenen Haltung: „Ich esse nichts mehr.“
Lu Feng erwiderte trocken: „Verbrechen der Verschwendung von Vorräten.“
An Zhe konterte augenblicklich: „Dann sind Sie mitschuldig!“
Lu Feng sah ihn mit verschränkten Armen an, und nachdem er ihn einmal von oben bis unten gemustert zu haben schien, sagte er: „Du bist ganz schön frech geworden.“
An Zhe verstand, was er meinte.
Er schwor sich, dass er das nächste Mal, wenn dieser Mann zum Essen kam, dann würde er sich ein Stück seiner eigenen Hyphen abschneiden und ihn dann damit vergiften. Mit dem Vorsatz, diesen Mann nicht mehr zu beachten, ließ er den Löffel fallen. Aber im Gegenteil, Lu Feng lächelte. Er streckte die Hand aus und zog den Topf mit der restlichen Suppe vor sich hin. Es sah so aus, als würde der Schiedsrichter sich selbst entlasten wollen. An Zhe beobachtete seine Handlungen eine Weile und beschloss dann, sich auch noch eine Kelle davon zu nehmen.
Nach dem Essen verabschiedete er Lu Feng nach draußen. Der Oberst hatte noch Telefonkonferenzen, die er am Abend noch wahrnehmen musste.
An der Tür schien sich Lu Feng plötzlich an etwas zu erinnern. Er nahm ein kleines, durchsichtiges Kästchen aus der Vordertasche seiner Uniform und warf es An Zhe zu.
„Wenn du nicht schlafen kannst, dann kannst du die hier nehmen“, sagte er.
Nachdem er alleine in sein eigenes Zimmer zurückgekehrt war, öffnete An Zhe die Schachtel vorsichtig. Es handelte sich um ein Paar weiße schirmförmige Gummi-Ohrstöpsel.
Nun grübelte er erneut und schwankte noch immer zwischen seiner Feststellung, ob Lu Feng nun wirklich ein guter oder ein schlechter Mensch war, und am Ende seiner Überlegungen definierte er den Mann vorläufig als einen wechselhaften Menschen.
Der Wind draußen nahm weiter zu, und das Geräusch im Inneren des Lochs wurde so schrill, dass es den Menschen das Einschlafen erschwerte - aber er hatte nicht die Absicht, diese Ohrstöpsel ein-zusetzen, zumindest nicht jetzt.
An Zhe stand vor seinem Bett. Den ganzen Nachmittag über hatte er nur an eine Sache gedacht.
Wenn er sich innerhalb des Leuchtturms nicht frei bewegen konnte, wann und wie genau würde er dann seine Spore finden können?
Bis vor Kurzem hatte er das Gefühl, dass dies ein unüberwindbares Problem war, aber jetzt hatte er einen Weg, den er gehen konnte. Alle Gebäude dieser Stadt waren durch die Lüftungsrohre miteinander verbunden.
Er drehte den Kopf und schaute auf das Fenster.
Das Fenster war sehr klein, nur etwa so groß wie zwei Schulbüchern zusammen, und an den Seiten waren zwei verschiebbare Metallfensterläden. Er ging zum Fenster hinüber und schob die Fensterläden zusammen. Mit einem Klicken passten die Fenster-läden perfekt zusammen. Auf diese Weise konnte niemand von außen in den Raum sehen.
Seine Hyphen.
Die Hyphen erstreckten sich von An Zhes Körper nach außen. Seine Kleidung und die Kette mit der Patronenhülse um seinen Hals fielen zu Boden und machten ein leises Geräusch. Zur gleichen Zeit bildete sich ein Knäuel schneeweißer Hyphen aus dem Hemdkragen und rollte unter das Bett, leise auf das pech-schwarze Loch zu.
Als sich sein Körper in einen Pilz verwandelte, hatte An Zhe eine vage Wahrnehmung der Außenwelt. Sein Sehsinn und sein Gehör kombinierten sich, während sein Geruchs- und Tastsinn nicht mehr voneinander unterschieden werden konnten. Es waren keine Geräusche, die er nun wahrnahm, sondern vielmehr ein eigenartiges Gefühl. Es gab keine Möglichkeit, diese Art von Veränderung mit menschlicher Sprache zu beschreiben.
Das Loch hatte ein feines Drahtgeflecht - drei Lagen davon -, das genügte, um alle großen und kleinen Insekten abzuhalten. Aber einen weichen Pilz konnte es nicht aufhalten.
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