Kapitel 17 ~ "Es ist wie ein Bienenstock."

 

17.
"ES IST WIE EIN BIENENSTOCK."


An Zhe griff nach dem Griff und fragte verblüfft: „Begehe ich denn nun kein Verbrechen der Unanständigkeit?“

Nein“, Lu Feng drehte sich um und ging in sein Schlafzimmer, „Ob der Tatbestand der Unanständigkeit erfüllt ist oder nicht, das hängt von den Wünschen des Opfers ab.“

Dieser Mann besaß die Frechheit, sich als Opfer zu bezeichnen.

An Zhe hatte ihn bereits durchschaut. Nachdem er den Koffer in seine Wohnung gebracht hatte, stellte er ihn in die unauffälligste Ecke des Zimmers. Er würde nicht zulassen, dass der Lu Feng da drin jemals wieder die Sonne zu Gesicht bekam.

Die Nachrichtensendung im Fernsehen war gerade zu Ende und ging über zur Wettervorhersage für den nächsten Tag. Mit süßer Stimme sagte der Moderator, dass das Flachland, in dem sich die Basis befand, einen seltenen windigen Tag begrüßen würde und bat alle, ihre Türen und Fenster fest zu schließen.

Am Anfang, als An Zhe noch ein Pilz war, fürchtete er starke Winde, weil sie Pilze zerstören würden. Erst später, nachdem er gespalten worden war und sich sein Körper verändert hatte, hörte er langsam auf, Angst vor dem Wind zu haben. Im Gegenteil, er mochte das Gefühl, wenn der Wind gegen ihn wehte.

Nachdem er sich gewaschen hatte und in sein Zimmer zurück-gekehrt war, sah er sich noch eine Weile sein Lehrbuch an. Als die Nacht allmählich hereinbrach, plante An Zhe zu schlafen.
Genau in diesem Moment ertönte ein seltsames, leises Geräusch in seinem Ohr. Es war lang und wellenförmig und ähnelte dem Geräusch des Windes, das in den engsten Schluchten widerhallte.

Manchmal war es ein sehr leises Wimmern, und manchmal wurde es abrupt schrill. Es war wie das Geräusch des Windes draußen, aber auch, als käme es aus dem Inneren des ganzen Raums, aber er konnte die Quelle des Geräuschs nicht finden.

Es war beileibe nicht das erste Mal, dass er dieses Geräusch hörte.
In vielen früheren Nächten in diesem Raum war das leise und ferne Geräusch mit dem Plitsch-Platsch von tropfendem Wasser begleitet worden, und diese beiden bildeten eine seltsame Harmonie. Die Kombination dieser beiden Geräusche gab ihm oft die Illusion, dass er sich noch im Abgrund befand - außerhalb der Höhle wehte der Wind aus den Tiefen des dichten Dschungels, und Schleim oder Speichel, ob von Tieren oder Pflanzen, tropfte auf die moosbedeckten Felsen.

Manchmal erzeugten der Wind und die Struktur der Höhle eine seltsame Resonanz, und verursachten dadurch ein leises Geräusch in alle Richtungen, dass an das Gemurmel einer Kreatur im Schlaf erinnerte.

Aber in dieser Nacht war das Geräusch lauter als je zuvor und An Zhe konnte endlich feststellen, wo der Ursprung des Geräuschs in seinem eigenen Zimmer lag.

Er runzelte die Stirn, schloss dann die Augen und nahm sorgfältig seine Umgebung wahr. Abgesehen von dem Geräusch des Windes draußen vor dem Fenster, war diese Art von Geräusch, in seiner Nähe...

Seine Augen flogen auf, und er sprang auf. Er stand barfuß auf dem Boden, nahm die Taschenlampe vom Tisch und schaltete sie ein, dann kniete er sich hin, hob die Bettlaken an und leuchtete mit dem Licht der Taschenlampe unter das Bett.

Ein pechschwarzes rundes Loch erschien vor ihm - es war an der Wand, an der das Bett stand, etwa dort, wo die Wand mit dem Boden verbunden war.

Das Loch hatte die Größe eines menschlichen Kopfes und ähnelte einer Rohrmündung. Sein Inneres war völlig dunkel, nichts war darin zu sehen. Er spürte einen Wind, der aus dem Loch wehte. Das Geräusch, das ihn einen Monat lang beunruhigt hatte, war das Geräusch des Windes aus dem Rohr.

Nachdem er das Loch eine halbe Minute lang untersucht hatte, ließ An Zhe das Bettlaken wieder fallen und kletterte in sein Bett.
Menschliche Zimmer hatten immer eine seltsame Struktur. Er musste früh schlafen, denn morgen war ein sehr wichtiger Tag.



_______________


Eure Körper
werden kämpfen
um zurückzukehren.


Und doch haben die namenlosen Wildblumen
reichlich auf euren Köpfen geblüht.


An Zhe sah zu, wie Bai Nan ein Gedicht aus dem Gedächtnis auf das Prüfungsblatt niederschrieb. Heute war die Abschlussprüfung für diese Gruppe von Sprösslingen und er war dafür verantwortlich, den Prüfungsraum zu patrouillieren, um Schummeln zu verhindern.

Das leise Geräusch von gestern Abend hallte auch im Klassenzimmer, aber alle schienen sich daran gewöhnt zu haben. In einem unauffälligen Teil einer Ecke des Klassenzimmers entdeckte An Zhe ein ähnliches Loch. Es schien, als sei dies häufig in menschlichen Gebäuden zu sehen. Er hatte es nicht bemerkt, weil es tagsüber zu laut war, so dass dieses Geräusch überdeckt wurde, aber heute, durch den starken Wind draußen wurde auch der Wind im Inneren des Lochs stärker.

Er ging an Bai Nan vorbei und die Sitzreihe weiter runter. Ji Shas Prüfungsbogen war ein einziges Durcheinander, voller Markierungen durch Kritzeleien und Korrekturen. Sie hatte nur ein paar verstreute, saubere und ordentliche Wörter auf den Englischfragebogen eingetragen, aber als An Zhe einen Blick darauf warf, schien es, dass sie nicht viele Wörter richtig geschrieben hatte. Die meisten Kinder waren in einer ähnlichen Situation wie Ji Sha.

Einige der anderen hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, Korrekturen vorzunehmen und ihre Prüfungsbögen vor ihnen waren praktisch leer. Natürlich gab es ein paar wenige Sprösslinge, sieben oder acht, deren Prüfungsbögen gut ausgefüllt waren.

An Zhe schaute sich um, während er weiterging, und kam zu der Stelle im Klassenzimmer, wo Si Nan saß, der etwas unterkühlte Sprössling. Si Nans Prüfungsbogen war bereits vollständig ausgefüllt, obwohl erst eine halbe Stunde seit Beginn der Prüfung vergangen war.

Er war schneller als alle anderen.

Im Moment überprüfte er weder seine Antworten noch träumte er vor sich hin, sondern zeichnete mit einem schwarzen Stift in die Lücken auf dem Prüfungsbogen.

In Wahrheit war es nicht angemessen, es Zeichnen zu nennen.

Diese unregelmäßigen schwarzen Linien, die an die Ranken des Abgrunds erinnerten, zeugten irgendwie von Wahnsinn, der auf der Oberfläche des Papiers ausbrach. Als die eineinhalbstündige Prüfung zu Ende war, hatten die seltsamen Zeilen bereits den gesamten Prüfungsbogen ausgefüllt, und nur in den Antwortbereichen war seine Schrift noch zu erkennen.

Nachdem die Arbeiten eingesammelt worden waren, brachte der Lehrer des Wohnheims die Kinder zurück in den Schlafsaal. An Zhe hingegen brachte die Unterlagen zurück ins Büro, wo Lin Zuo und Colin bereits auf ihn warteten.

Lin Zuo machte gerade bereits die Korrektur der Mathematik- und Logik-Prüfungsaufgaben. Als er An Zhe eintreten sah, nahm er die Papiere und sagte: „Notiere dir bitte die Ergebnisse mit Colin.“

An Zhe stimmte gehorsam zu und trat an Colins Seite. Colin las die Namen und Noten der Kinder laut vor, und An Zhe trug die Noten in die Tabelle auf dem Computer ein.

Si Nan“, las Colin laut vor, „100.“

An Zhe notierte seine Note und sagte leise: „Er ist so erstaunlich.“

Er hatte sich den Prüfungsbogen für Mathematik und Logik angesehen. Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division waren bereits die einfachsten Inhalte, und An Zhe glaubte, dass er selbst nicht in der Lage gewesen wäre, manche Aufgaben in der Geometrie oder der Logik zu lösen.

In diesem Moment sagte Lin Zuo, der die Prüfungsblätter für Sprache und Literatur korrigierte: „Si Nan ist ein sehr seltenes Genie.“

Hm“, bestätigte An Zhe.

Aber ich habe nicht vor, ihn in die Klasse A zu schicken“, sagte Lin Zuo.

Nachdem er den letzten Monat mit ihnen gearbeitet hatte, kannte An Zhe nun die Regeln für die Beförderung der Sprösslinge.

Der Lehrer des Wohnheims hatte eine Tabelle, auf der man Punkte hinzufügen und Punkte abziehen konnte, und auch im Unterricht gab es eine solche Tabelle.

Diese Aufzeichnungen über die hinzugefügten oder abgezogenen Punkte wurden zu den Noten aller Haupt- und Nebenprüfungen sowie der Note für die Abschlussprüfung addiert, und ergab dann schließlich die Endnote der Kinder.

Die Handvoll Sprösslinge mit den besten Noten in dieser Klasse würden in die Klasse A befördert werden und dürften ihre Ausbildung in der Hauptstadt fortsetzen, und wenn sie heran-gewachsen wären, würden sie in die verschiedenen Organisationen der Hauptstadt eingesetzt werden, je nach ihren Stärken. Die anderen Sprösslinge würden in der Militärbasis ausgebildet werden und nach einem Monat würde dann das Militär ein Dutzend Sprösslinge für die Klasse B auswählen, um sie noch weiter auszubilden. Wenn diese Sprösslinge erwachsen geworden sind, würden sie Soldaten des Militärs werden. Die übrigen Sprösslinge würden in Klasse C eingestuft werden und somit in die Äußere Stadt geschickt, um dort auf die Adoption durch die Bewohner der Äußeren Stadt zu warten. Wenn niemand sie adoptierte, würden sie weiterhin ein Gemeinschaftsleben in dem von der Äußeren Stadt zugewiesenen Bezirk leben und von da an zu Bewohnern der Äußeren Stadt werden.

Aber Lin Zuo sagte, dass er nicht vorhabe, Si Nan zu erlauben, in die Klasse A eintreten zu lassen.

An Zhe fragte: „Warum nicht?“

Es gibt Probleme mit seinem Charakter“, antwortete Lin Zuo, „Er ist auch nicht für das Militär geeignet. Ihm fehlt es an Emotionen und er hegt gleichzeitig Groll gegen die Basis, deshalb kann er der Hauptstadt nicht dienen. Der Garten Eden stimmt auch mit meiner Einschätzung überein. Er wird direkt der Klasse C zugeteilt. Ich zähle in Zukunft auf euch beide.“

... In Ordnung“, sagte An Zhe.

Er ist ein sehr seltsames Kind“, erläuterte Lin Zuo weiter, „Der Lehrer des Schlafsaals hat mir erzählt, dass er nachts oft aufwacht und manchmal zittert, aber man kann keine Ursache dafür finden. Ich hörte von dem Kindermädchen, das sich bis zu seinem dritten Lebensjahr um ihn gekümmert hat, dass er einmal einen Freund verloren hat, was vielleicht eine psychologische Narbe hinter-lassen hat.“

Der Vormittag verging, und die Berechnungen der endgültigen Noten waren abgeschlossen. Fünf der Sprösslinge, darunter Bai Nan, wurden ausgewählt und zusammen mit den herausragenden Kindern der anderen Klassen in den siebten Stock des Garten Eden geschickt, um dort weiter ausgebildet zu werden. Lin Zuo wurde in den dritten Stock versetzt und begann, sich um die neuen Erstklässler zu kümmern. An Zhe und Colin wurden offiziell die verantwortlichen Lehrer für die verbleibenden Kinder. Ihre Aufgabe war es, die Kinder zum Militärstützpunkt zu bringen und zu beobachten, wie sie die militärische Grundausbildung meisterten und Beurteilungen darüber zu verfassen.

Die Hauptstadt war sehr effizient. Noch am selben Nachmittag nahmen sie ein Shuttle zum militärischen Übungsplatz auf der anderen Seite der Stadt, und mit ihnen waren auch die Kinder aus den anderen Klassen.

Der Wind auf dem Übungsplatz war stark und brachte feinen Sand mit sich, aber die Kinder waren guter Dinge, rannten und sprangen auf dem weitläufigen Gelände herum - das Personal des Militärs, das für die Kontrolle der Kinder zuständig war, war im Begriff, sie zu übernehmen, so dass An Zhe und Colin nichts weiter tun mussten, als sie von der Seite aus zu beobachten.

Als sie Seite an Seite auf der Eisenbank saßen, sprach Colin plötzlich - in diesem letzten Monat hatten weder er noch An Zhe mit dem jeweils anderen gesprochen.

Ich bin bereit, ein wenig von meinem Hass auf den Schiedsrichter loszulassen“, sagte er leise.

An Zhe sah Colin an und bemerkte, wie sein Blick über die Gebäude wanderte, bis dieser auf einer grauen Ecke des fernen Garten Eden hängenblieb, der besonders herausstach. Es war ein sehr kalter Blick. „Weil die ganze Hauptstadt genauso kalt und herzlos ist wie der Schiedsrichter“, erklärte Colin, während er weiterhin dorthin starrte.

Wieso denkst du das?“, fragte An Zhe.

Hast du dir den Garten Eden einmal genauer gesehen?“, stellte Colin die Gegenfrage, „Er ist wie ein Bienenstock.“

Der Garten Eden war ein massives, sechseckiges Gebäude, und die Gebäudeform hatte tatsächlich einige Ähnlichkeiten mit einem Bienenstock. An Zhe sagte nichts, und Colin sprach weiter mit sich selbst: „Der Garten Eden ist die Bienenkönigin, die jedes Jahr bis zu zehntausend Kinder in die Welt setzt. Sobald sie drei Jahre alt sind, werden sie schwierigen Tests unterzogen, um den kleinen Teil mit dem höchsten IQ herauszupicken, den sie dann in der Hauptstadt behalten, um mit ihnen wissenschaftliche Forschung zu betreiben oder was auch immer sie in der Zukunft mit diesen Kindern vorhaben. Für die Basis sind diese Kinder nützlich - sie sind wie Drohnen -, damit sie die besseren Lebensbedingungen in der Hauptstadt erhalten“, sagte er, „Die aussortierten Kinder sind allesamt Arbeitsbienen und werden der Äußeren Stadt zugeteilt, wo die Bedingungen schlecht sind. Die Basis kontrolliert die Versorgung mit Nahrung und Wasser, und die Arbeitsbienen können dort nur Söldner werden. Sie können nur überleben, wenn sie sich in die Wildnis begeben und Materialien zurückbringen. Und diese Materialien werden von der Basis zum Nutzen der Hauptstadt verwendet.“

Er stieß ein kaltes Lachen aus: „So funktioniert der gesamte Stützpunkt. Die Menschen, die einen Wert haben, sind für die Hauptstadt von Nutzen. Es hat sie nicht im geringsten gejuckt, als sie Distrikt 6 in die Luft gejagt haben, weil die Menschen in der Äußeren Stadt nur wertlose Dinge sind, die sie von vornherein aufgegeben hatten.“

Doch An Zhe wandte ein: „Aber die Hauptstadt hat nur sehr wenig Platz und der reicht nur für sehr wenige Menschen, um hier zu leben.“

Colin drehte sich ihm zu: „Denkst du, was sie tun, ist richtig?“

Nachdem er kurz gezögert hatte, nickte An Zhe.

Du denkst, was sie tun, ist richtig, weil du überlebt hast. Du stehst hier und vertrittst die Position der Hauptstadt“, Colin wurde unruhig, und seine Brust hob und senkte sich immer schneller, „Die Interessen der Menschen haben Vorrang vor allem anderen, also ist alles, was sie tun, richtig“, sagte er, „Aber die Menschen, die gestorben sind - die Menschen, die sie in die Luft gejagt haben, deine Familie und deine Freunde – was haben sie falsch gemacht? Waren sie etwa keine Menschen?“

An Zhe sagte nichts. Er war keineswegs verblüfft über diese Frage, denn auch im Abgrund gab es soziale Lebewesen. Nach seinen langjährigen Beobachtungen war für ein einzelnes Lebe-wesen das Leben an sich das Wichtigste, aber für eine Gruppe sozialer Lebewesen war das Fortbestehen der gesamten Gruppe wichtiger. Er glaubte nicht, dass Colin sich irrte, sondern nur, dass diese Person vielleicht besser für das Leben in der Virginia-Basis geeignet gewesen wäre.

Colin schaute ihm in die Augen und sagte schließlich: „Ich verstehe schon. Du hast überhaupt keine Gefühle.“

Damit war ihr Gespräch beendet.

An Zhe richtete seinen Blick wieder auf die Sprösslinge.

Die Sprösslinge waren viel niedlicher als Colin.

Aber in diesem Moment herrschte bei den Sprösslingen ein totales Chaos, denn es war ein Kampf im Gange. An Zhe stand auf und ging auf die Gruppe der Sprösslinge zu, und auch Colin kam zu ihnen. Die Kämpfenden waren Si Nan und ein ihm unbekannter, stämmig aussehender Junge.

Si Nans Augen waren ein wenig rot, während er den anderen Jungen fest auf den Boden drückte.

Lass ihn los“, sagte Colin, „Si Nan, ich ziehe dir sonst Punkte ab.“

Si Nan ließ den Jungen immer noch nicht los, so dass Colin keine andere Wahl hatte, als vorzutreten und sie mit Gewalt zu trennen.

Erwachsene hatten schließlich viel mehr Kraft als Kinder. Si Nan stand mit einem kalten Gesichtsausdruck an der Seite. An Zhe schaute zu ihm hinunter und fragte: „Was ist los mit euch beiden?“

Si Nan sagte nichts, aber der andere Junge rief laut: „Du hast nachts im Schlaf geredet! Du hast Lilys Namen geschrien! Lily ist schon lange weggebracht und eingesperrt worden, und du wirst sie sowieso niemals nie finden!“

An Zhe sah, wie Si Nan seine Fäuste ballte. Lily. Das klang wie der Name eines Mädchens. Er fragte: „Wer ist Lily?“

Diesmal antwortete Si Nan ihm endlich: „Meine Freundin.“

Wo ist sie?“

Im Garten Eden“, sagte Si Nan eisig.

An Zhe erinnerte sich, dass Lin Zuo gesagt hatte, er habe einmal einen Freund verloren und vermutete, dass der Grund für diesen Streit darin lag, dass dieser Junge den wunden Punkt von Si Nan erwähnt hatte.

Sei nicht mehr böse“, er kniete sich hin, um auf Augenhöhe mit Si Nan zu kommen und klopfte ihm sanft auf die Schulter, „Ich werde ihm in Zukunft nicht mehr erlauben, diesen Namen zu erwähnen.“

Si Nans Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Er war eindeutig ein Kind, aber er zeigte mitunter eine Kälte, die sich von der aller anderen Sprösslinge deutlich unterschied.

An Zhe konnte Si Nan nur über den Kopf streicheln und sich dann erheben. Auf dem Trainingsplatz herrschte unterdessen bei den anderen Sprösslingen ein totales Chaos.

Colin, der neben ihm stand, schimpfte gerade einen anderen Sprössling und seine Ermahnung schien viel erfolgreicher zu sein als die von An Zhe. Sobald er die zwei Worte 'Punkte abziehen' sagte, gehorchte ihm das Kind sofort.

Inspiriert davon sagte An Zhe zu Si Nan: „Du darfst in Zukunft nicht mehr kämpfen, sonst werden dir Punkte abgezogen.“

Si Nans Mundwinkel verzogen sich spöttisch nach oben, und er sagte: „Ihr wollt mich sowieso nicht in der Hauptstadt bleiben lassen, also können mir die Punkte doch egal sein.“

In Zeiten, in denen die anderen Kinder noch über ihre eigenen Worte stolperten, wusste dieser Sprössling bereits alles. An Zhe fühlte sich hilflos, aber niemand konnte ihm helfen. Genau in diesem Moment hielt in seinem Blickfeld ein schwarzes Auto und drei Personen stiegen aus. An Zhe sah hinüber und begegnete den Augen der Person in der Mitte.

Er blinzelte.

Lu Feng hatte ihn auch gesehen. Mit einem leichten Heben der Augenbrauen ging Lu Feng auf sie zu.

Sie sind auch hier?“, fragte An Zhe, als er sie erreicht hatte.

Für ein Treffen“, sagte Lu Feng, „Was ist mit dir passiert?“

In An Zhes Stimme lag ein Hauch von Hilflosigkeit zusammen mit einer stummen Bitte um Hilfe: „Zwei der Kinder haben sich geprügelt.“

Dann verprügel sie einfach beide“, sagte Lu Feng trocken.

Seine Worte brachten An Zhe unwillkürlich zum Lachen. Dann beugte sich An Zhe hinunter und sagte zu Si Nan: „Wenn du das nächste Mal kämpfst, werde ich dich schlagen.“

Lu Feng schaute ihn an.

Du bist viel zu gutmütig“, sagte er kühl, „so dass sie nicht nur weiter kämpfen, sondern dich auch noch schlagen werden.“

An Zhe war sprachlos.

Er korrigierte seinen Gesichtsausdruck und bemühte sich, noch ein wenig grimmiger auszusehen. Hätte er auch nur ein Zehntel von Lu Fengs Kälte, dann hätte er ein einfacheres Leben, wenn er die Sprösslinge unterrichtete.

Als Lu Feng ihn beobachtete, kräuselten sich seine Mundwinkel und dann wandte er seinen Blick zu Si Nan.

Sein Blick erstarrte auf der Stelle.

Geh weg von ihm“, befahl Lu Feng kalt.

Ohne es zu verstehen, gehorchte An Zhe Lu Feng fast aus Reflex und wich zwei Schritte zurück.

Lu Feng machte zwei Schritte nach vorne und stellte sich zwischen An Zhe und Si Nan. Er zog sich Handschuhe an, packte Si Nans Kinn und zwang das Kind, in die Sonne zu schauen. Das Sonnenlicht war sehr grell, und Si Nans Pupillen zogen sich stark zusammen.

Irgendetwas stimmt nicht mit ihm“, Lu Feng hielt Si Nan mühelos auf seinem Platz, „Kontaktiere den Leuchtturm.“



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