Kapitel 36 ~ "Ihr zwei habt eine tolle Beziehung"

 

36.
"IHR ZWEI HABT EINE TOLLE BEZIEHUNG."


AN ZHE hatte einen Traum.

Das prasselnde Geräusch von Regen.

Wassertropfen trafen auf breite Blätter, flossen an den sich kreuzenden Blattadern hinunter, fielen von den Rändern und landeten im Gebüsch, dann rieselten sie an den Wurzeln alter Bäume entlang und versickerten in der feuchten Erde. Es war eine nasse Jahreszeit, ein Anblick, den er schon viele Male erlebt zu haben schien. Seine Erinnerungen begannen dort, als die ganze Welt aus Regen bestand.

Er schwebte von einer Pilzkappe herab und wurde, bevor der Regen einsetzte, vom Wind auf den Boden getragen. Er schien die ganze Zeit geschlafen zu haben bis er den feuchten Wasserdampf nach dem Regen gerochen hatte.

Alles entglitt seiner Kontrolle. In der feuchten Erde dehnten sich die Hyphen aus, wuchsen in die Länge, teilten sich, dehnten sich weiter aus und verdichteten sich. Er wuchs von einer Spore, die kleiner als ein Sandkorn war, zu einer Masse von Hyphen, dann zog er einen Stiel aus und es wuchs eine Kappe.

Alles folgte einem klaren und geordneten Muster. Anders als die Menschen mussten Pilze keine Lehren von Generation zu Generation weitergeben.

Er erinnerte sich nicht im Geringsten an den Pilz, der ihn hervorgebracht hatte, aber er wusste genau, was er aus dem Boden holen musste, als wäre dies seine eigene Erfahrung. Er wusste auch, zu welcher Jahreszeit er geboren werden sollte, was er tun sollte und zu welcher Zeit er sterben sollte.

Die Aufgabe seines Lebens war es, eine Spore zu produzieren.

Dann würde er noch einmal etwas wachsen und dann sterben, während seine Spore weiter wuchs.

Inmitten des zeitlosen Rauschens des Regens schwebten unzählige Sporen nacheinander herab.

Auf diese Weise klang das leise Rauschen des Regens in seinen Ohren. Überall um ihn herum und in seinem Körper, seinem Geist und seinen Erinnerungen war er allgegenwärtig, als würde er das Eintreten von etwas beschleunigen, das bald geschehen würde. In ihrem Gefolge kamen die Wellen, die vom fernen Himmel kamen. Unendliche Leere, unendlicher Schrecken - bis seine Augen aufflogen.

Die Quarzuhr, die an der Wand hing, stand auf neun Uhr. Da war niemand neben ihm, und er war fest in die Bettdecke eingewickelt. Aber das Gefühl, in Lu Fengs Armen gehalten zu werden, schien immer noch da zu sein. Die Hitze verweilte auf seiner Haut und verbrannte ihn Stück für Stück. Lu Feng hatte ihn ursprünglich um den Oberkörper herum gehalten, irgendwo unterhalb der Schultern. Mitten in der Nacht hatte An Zhe jedoch aufgrund des Gewichts ein Unbehagen in seinen Armen gespürt, und hatte sie herausgezogen. Der Arm des Mannes hatte sich dadurch etwas nach unten verlagert und sich auf seiner Taille abgelegt, wobei seine Handfläche gerade gegen An Zhes Unterleib abgelegt worden war.

Wenn er in Lu Fengs Armen gehalten wurde, war es, als könnte er sich von all den Gefahren da draußen komplett isolieren. Er fühlte sich sehr sicher, aber dieser Mann selbst war auch die größte Gefahr. An Zhe konnte sich nicht mehr erinnern, in welcher Stimmung er gewesen war, bevor er wieder einschlafen war.

An Zhe schaute auf alles, was vor ihm lag, und sein Geist war völlig leer. Er wackelte mit den Fingern. Trägheit durchdrang selbst die Winkel und Ritzen seiner Knochen. Als hätte er ein zu langes Nachmittagsschläfchen gehalten und nun keine
Kraft mehr im ganzen Körper.

Die Luft um ihn herum war so feucht, wie direkt nach einem Regenschauer.
Er dachte an diesen seltsamen, aber scheinbar prophetischen Traum zurück, setzte sich dann vom Bett auf und streckte die Hand aus. Die Spore aus seinem Bauch heraus zu reißen wäre eine zu grausame Tat. Nur ein gewisser Offizier namens Lu würde so etwas tun. Er kontrollierte die Bewegung der Spore in seinem Körper. Drei Minuten später, dehnte sich eine Masse weißer Hyphen aus und erschien auf seiner rechten Handfläche, während sie sich um seine Spore sammelten.

Als er sie in seinem Körper platziert hatte, war sie nur eine kleine Spore von der Größe einer halben Handfläche gewesen, aber jetzt war sie so groß wie seine Faust.

Im Schein der Gaslampe untersuchte er sie genau. An den Enden der Spore waren winzige geweihartige Verzweigungen, und mit ihrem weißen und durchsichtigen Glanz war sie wie eine Schneeflocke. Ihre Form hatte begonnen, sich zu verändern.

Er berührte sie mit seiner linken Hand, und sie streckte ihre Hyphen aus, um sie zärtlich um seine Finger zu wickeln. Er konnte ihr frisches und blühendes Leben spüren; sie stand kurz vor der Reife.

Er wusste nicht genau, wann die Spore ihre Reife erreichen würde, aber es würde nicht mehr lange dauern.

Ihre Hyphen würden dann nicht mehr ineinander verschlungen sein. Sie würde zu einem Pilz werden, der in der Lage ist, unabhängig zu überleben. In dem Moment, in dem sie reif wäre, würde sie ihn automatisch verlassen, so als hätte sie der Wind verweht.

Der Instinkt eines Pilzes war es, seine Sporen zu pflanzen. Wo wollte er sie pflanzen? Würde sie in ferner Zukunft heranwachsen können? An Zhe wusste es nicht. Er spürte nur die schwache Wehmut, die vor einem Abschied kommt. Es schien, dass alle greifbaren Dinge auf der Welt irgendwann getrennt werden würden.

In diesem Moment hörte er eine Bewegung im Gang. Seine Spore hob zuerst ihre Hyphen an, schien dem Geräusch zu lauschen, dann rollte sie munter auf die Geräuschquelle zu, wie der Pol eines Magnetitstücks, das auf einen anderen Pol zuspringt.

An Zhe führte seine Hände zusammen, und schaffte es gerade noch, das verräterische kleine Ding zurück in seinen eigenen Körper zu holen, bevor Lu Feng den Raum betrat.

Als er an der Tür stand, hob Lu Feng die Augenbrauen und sah An Zhe an.

Steh auf“, sagte er.

An Zhe erhob sich gehorsam aus dem Bett und ging zum Essen.

Sie verbrachten die folgenden Tage immer mit den gleichen Aufgaben: An Zhe half Xi Bei beim Kochen und Aufräumen der Mine. Lu Feng ging häufig nach draußen. Jedes Mal hatte An Zhe Angst, dass er nicht mehr zurückkommen würde, aber jedes Mal war der Oberst unerwartet gesund und munter. Manchmal brachte er sogar einen kleinen Vogel zurück und warf ihn ihnen zum Braten zu.

Meistens aber blieben sie in der Höhle und hatten nichts zu tun.

An Zhe hatte alle Bücher gelesen, und auf Wunsch des Obersts las er ihm laut einen Liebesroman und ein ganzes Waffenhandbuch vor - dieser Mann wollte sich nicht einmal die Mühe machen, sie selbst durchzublättern.

Schließlich begannen sie, Brettspiele mit kleinen Steinen zu spielen. Es waren alles sehr einfache Spiele wie Fünferreihe oder Flugzeugschach. Lu Feng hatte es ihm zuerst beibringen müssen, aber dann spielten sie zusammen.

An Zhe verlor öfter, als er gewann, und er vermutete insgeheim, dass diese wenigen Siege dem Oberst geschuldet waren, weil der Oberst das Spiel heimlich manipulierte, denn jedes Mal, wenn er gewann, erschien ein Lächeln in Lu Fengs Augen.

Während sie aßen, sagte Xi Bei: „Ihr zwei habt eine tolle Beziehung. Früher gab es auch Leute, die sich in den Höhlen verliebt haben, und Großvater war der Trauzeuge für ihre Ehen“, seufzte er leise und legte sein Besteck ab, „Ich möchte mich auch verlieben, aber es gibt hier keine anderen Menschen.“

Lu Feng sagte nichts. An Zhe tröstete Xi Bei und sagte: „Es gibt Menschen in der Basis.“

Obwohl es nur achttausend von ihnen waren.

Scheinbar getröstet, nahm Xi Bei beherzt sein Besteck wieder in die Hand. Sieben Tage später war die Kommunikation immer noch nicht wiederhergestellt und Xi Bei teilte ihnen die traurige Nachricht mit, dass ihre Lebensmittelvorräte nicht mehr für zwei Tage reichten. Sie mussten zu den Ruinen der Stadt gehen, die Tausende von Metern entfernt lag, um nach Vorräten zu suchen.

Sie ließen also etwas Trockenfleisch für den Großvater zurück und packten das restliche Trockenfleisch und die Pilze in ihre Rucksäcke, zusammen mit einigen Flaschen an Wasser. Xi Bei holte einen kleinen Spiritusbrenner aus der Küche.

Bevor die anderen Leute aus der Mine gestorben waren, gingen sie oft in die Stadt, um Vorräte zu suchen, also war die Mine gut ausgerüstet mit den dafür benötigten Mitteln.

Wir hatten einen Feldweg angelegt, damit wir mit dem Fahrrad dorthin gelangen können“, Xi Beis Tonfall klang leicht verzweifelt, „Aber er hat sich nun in Sand verwandelt, also ist das Radfahren unmöglich.“

Bevor An Zhe ging, schaute er sehnsüchtig auf die in einer Ecke gestapelten Fahrräder. Er hatte noch nie Fahrräder gesehen.

Lu Feng stützte seinen Ellbogen auf An Zhes Schulter und sagte lässig: „Ich werde mit dir Radfahren, wenn wir zurück sind.“

Als sie gerade alles vorbereitet hatten und sich daranmachten, den Deckel oberhalb der Höhle zu öffnen, erklangen schwere, träge Schritte aus den Tiefen der Mine.

An Zhe drehte sich um. Im schummrigen Licht kam ein gebrechlicher alter Mann um die Ecke, wobei er sich an der Wand abstützte. Sein Haar war wirr und ungepflegt, und seine Mundwinkel zitterten ständig wie die Flamme einer blassen Kerze, die im Wind flackerte.

Xi Bei schritt vorwärts: „... Großvater?“

Der alte Mann starrte ihn mit trüben Augen ausdruckslos an und schien ihn nicht zu erkennen. Er öffnete den Mund und sagte: „Ich werde auch gehen.“

Xi Bei umarmte den alten Mann an den Schultern: „Du kannst einfach hier bleiben. In ein oder zwei Tagen sind wir wieder da und bringen dir etwas zu essen mit.“

Mit derselben heiseren Stimme sagte der alte Mann: „Ich werde auch gehen.“

Egal, wie sehr Xi Bei versuchte, ihn davon abzubringen, der alte Mann hatte nur diesen Satz zu sagen. Aufgrund dieser Beharrlichkeit zeigte sein stumpfes Gesicht unerwartet eine ungewöhnliche Klarheit.

Da Xi Bei keine andere Wahl blieb, wandte er sich mit einem flehenden Blick an Lu Feng.

Lu Feng musterte den alten Mann lange, bevor er sagte: „Dann nehmen wir ihn mit.“

Xi Bei willigte ein und half dem alten Mann hinaus - sein torkelnder Gang war unsicher, und jeder, der ihn ansah, wusste, dass dieses alte Leben sich seinem Ende näherte.

Am Höhleneingang sagte Lu Feng: „Ich werde ihn tragen.“

Xi Bei schüttelte den Kopf. Nachdem er seinen Großvater auf den Rücken genommen hatte, sagte er: „Großvater ist sehr leicht.“

An Zhe betrachtete den betagten Körper des alten Mannes. Die Krankheit hatte bereits seinen Körper so weit aufgezehrt, dass nur noch ein Skelett übrig war.

Sie kamen oberirdisch an, wo es hell war und die Sonne auf sie schien. An Zhe blinzelte und gewöhnte sich erst nach einiger Zeit wieder daran.

Er betrachtete Großvater, der auf Xi Beis Rücken saß und die Augen geschlossen hatte. Sein Gesicht war mit den braunen Flecken übersät, wie sie im Alter eines Menschen auftreten, aber im Sonnenlicht wirkte er sehr friedlich.

Sein Mund bewegte sich, als er einen einzigen Satz sprach: „Die Menschen leben auf der Erde.“

Das war das Einzige, was An Zhe in den letzten Tagen von Großvater gehört hatte, das nicht wie Kauderwelsch klang. Er blickte zum blassgrauen Himmel hinauf. Im Moment zogen schwache Bänder der Aurora in blassem Grün über den Himmel. Auch wenn es nicht Nacht war, so war es nun möglich, die Aurora zu sehen, anders als zuvor.

Lu Feng sagte: „Die Frequenz des Magnetfeldes ist angepasst worden.“

An Zhe nickte. Er kannte die Bedeutung dieses Satzes nicht, aber solange das Magnetfeld noch in Ordnung war, war alles in Ordnung.

Auf dem Sand waren ihre Schritte manchmal tief und manchmal seicht. Als sie die weite Einöde durchquerten, war es, als wären sie die einzigen Lebewesen auf der Welt. Der Wind wehte aus einer unbekannten Entfernung. Ob es nun über zehntausend Jahre oder hundert Millionen Jahre so war, er wehte immer auf diese Weise.

Die Lebewesen, die sich auf dem Boden bewegten, wurden erneuert und ersetzt, wobei einige starben und andere sich neu zusammensetzten, aber der Wind änderte sich nicht.

Wenn der Wind durch die Felsspalten pfiff, ertönte ein seltsames, langgezogenes Geräusch, das einem Wehklagen glich und in der gesamten Einöde zu hören war.

Inmitten dieses fernen Heulens klammerte sich An Zhe spontan an den Saum von Lu Fengs Ärmel und ging mit ihm weiter.

Lu Feng warf ihm einen nichtssagenden Blick zu: „Soll ich dich auf meinem Rücken tragen?“

An Zhe schüttelte den Kopf. Er konnte allein gehen.

Ohne noch etwas zu sagen, schaute Lu Feng wieder nach vorne. Nachdem er noch ein Stück gegangen war, war An Zhe vom Festhalten müde geworden, und sein Arm tat etwas weh. In den letzten Tagen, als seine Spore allmählich herangereift war, schien sich seine körperliche Kraft zu verschlechtern. Er wollte loslassen, aber er wollte auch nicht loslassen.

Lu Feng beugte sein Handgelenk und An Zhe verstand, was er damit meinte. Er hatte den Oberst mit seinem Griff wohl verärgert, also ließ er gehorsam los.

Dann wurde seine Hand von der des Obersts ergriffen und sie gingen weiter.



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Auf ihrem Weg entdeckten sie das Wrack eines Flugzeugs. Die Form des Flugzeugs war identisch mit der des Flugzeugs von Lu Feng. An Zhe schätzte grob die Richtung ab. Dieses Flugzeug musste dasjenige gewesen sein, das kurz vor Lu Fengs Flugzeug abgestürzt war. Er war Zeuge seines Absturz gewesen.

Nachdem drei oder vier Flugzeuge nacheinander abgestürzt waren, hatte er nie wieder Flugzeuge des Stützpunkts am Himmel auftauchen sehen. Höchstwahrscheinlich hatte auch der Stützpunkt diese merkwürdige Veränderung bemerkt und seine Kampfflugzeuge nicht mehr losgeschickt.

Aber der Zustand dieses Flugzeugs war besser als das von Lu Feng. Es war nicht explodiert, so dass abgesehen von der Beschädigung des Äußeren alles andere gut erhalten zu sein schien.

Lu Feng ging hinüber und löste die Blackbox des Flugzeugs. Nach einem kurzen Zögern kletterte er durch die aufgebrochene Kabinentür. Dort waren Bisswunden an den Rändern zu sehen. Monster hatten den Körper des Piloten gefressen. Die blutbefleckten Kleider waren getrocknet, und die zerpflückten Knochen lagen verstreut im Cockpit herum. Der Schädel war unter die Konsole gerollt, nur noch zur Hälfte erhalten und mit scharfen Zahnabdrücken an den Rändern versehen.

An Zhe kletterte mit ihm hinein. Einen Moment lang wollte Lu Feng, dass er wieder weggeht, damit er nicht von diesem abscheulichen Anblick erschreckt werden würde, aber dann sah er den ruhigen Blick von An Zhe und erkannte, dass er keine Angst vor den menschlichen Überresten hatte.

Unter der Konsole lag das aufgeschlagene Flughandbuch. Das Flughandbuch war ein Nachschlagewerk für Piloten und enthielt Aufzeichnungen über die grundlegenden Schritte, den Zweck von Instrumenten und deren Verwendung sowie Lösungen für verschiedene außergewöhnliche Umstände.

Lu Feng zog das Flughandbuch zu sich heran. Eine seltsame Veränderung hatte mit diesem Handbuch stattgefunden. Die schwarze Schrift war tief in das Papier eingedrungen. Die Farbe breitete sich als feine schwarze Tentakel aus und ließ die auf sich geschriebenen Zeichen der Seiten seltsam verzogen und verdreht wirken.

Sie erinnerten an eine Art teuflischer Symbole.

Auch An Zhe sah auf das Papier und hatte Mühe, die Worte zu entziffern. Auf dieser Seite ging es um die verschiedenen möglichen Arten von Triebwerksausfällen.

Daher wusste er, dass dieser Flugzeugabsturz durch einen Motorschaden verursacht worden war, und bis zu dem Moment, als das Flugzeug abstürzte, hatte der Pilot im Handbuch nach möglichen Lösungen gesucht.

Dann - in dem Moment als das Flugzeug abgestürzt war - war das Handbuch herunter gefallen und die Menschen an Bord gestorben. Nachdem Lu Feng An Zhe von der Leiter des Flugzeugs heruntergetragen hatte, hörte er Lu Feng sagen: „Das Flugzeug, in dem ich saß, stürzte ebenfalls wegen eines Motorschadens ab.“

An Zhe runzelte die Stirn.

Lu Feng fuhr fort: „Aber auch bei den anderen Teilen neben dem Motor gab es Probleme.“

Könnten es Produktionsfehler gewesen sein?“, fragte An Zhe.

Die Flotte der PJ-Kampfflugzeuge hat schon viele Einsätze absolviert und die Maschinen wurden auch vor dem Start gewartet“, sagte Lu Feng nachdenklich.

Sie setzten ihren Weg fort. Xi Bei und Großvater warteten vor dem Flugzeugwrack auf sie.

An Zhe konnte den Grund für die Pannen der Flugzeuge nicht verstehen. Er fragte: „Warum sind sie dann abgestürzt?“

Ich weiß es nicht“, der Oberst sprach diese vier Worte nur sehr selten aus.

Als ob er sich an etwas erinnerte, sagte er pauschal: „Es gab auch Motorprobleme bei der PL1109, als ich zurückkehrte, aber sie landete trotzdem sicher.“

Die PL1109 war das modernste Kampfflugzeug der Basis. Was Lu Feng damit meinte, war, dass nun bei allen Flugzeugen die Gefahr von Abstürzen bestand. Vor nicht allzu langer Zeit, als er die menschliche Basis gerade verlassen und zurückblickt hatte, hatte er auch die langsam sinkende Silhouette der PL1109 gesehen. Es stellte sich nun also heraus, dass Lu Fengs Leben bereits zu diesem Zeitpunkt auf Messers Schneide gestanden hatte.

Dann...“, sagte An Zhe mit leiser Stimme, „wirst du doch sicher ab jetzt kein Flugzeug mehr fliegen?“

Lu Feng sagte nichts und zerzauste einfach sein Haar.

Nachdem sie sich wieder mit Xi Bei getroffen hatten, berichteten sie kurz über die Situation vor Ort und gingen weiter.

In ihrem Blickfeld war alles Ödland.

Xi Bei sah sich um: „Es sind wirklich weniger Monster geworden. Früher waren es ziemlich viele hier.“

An Zhe wusste, was diese Worte bedeuteten. Ob groß oder klein, viele Kreaturen waren gestorben und waren nur noch Teile von den Monstern der Hybridklasse. Da die Gesamtzahl der Monster zurückging, schien dieser Ort nun viel sicherer zu sein. Aber jedes Monster für sich war nun wesentlich gefährlicher.

Aber all diese Veränderungen waren in weniger als ein paar Wochen abgeschlossen gewesen und die kleinen und schwachen Monster waren dadurch komplett ausgerottet worden.

Der Prozess war viel zu schnell von Statten gegangen. An Zhe dachte an das Monster zurück, das sich verzweifelt und gierig nach Genen verzehrt hatte. Seine Handlungen schienen wirklich übereilt gewesen zu sein.

In Wahrheit gab es ähnliche Bilder in seinen Erinnerungen. Er erinnerte sich an die Spätherbsttage im Abgrund. Im Winter wurde es im Abgrund immer nass und kalt. Nach einem Schneefall gab es überall Frost auf dem Boden und den Bäumen. Viele Monster kamen nicht mehr heraus und bewegten sich nicht mehr. Stattdessen suchten sie sich warme Höhlen, um sich zu verstecken. Um einen ganzen Winter überleben zu können, kämpften sie wie wild gegeneinander, verzehrten verzweifelt mehr Fleisch und Blut, um Nahrung für den Winter zu speichern, oder sie schleppten die Kadaver ihrer Feinde in ihre Höhlen, um sie als Nahrungsreserven zu nutzen. Der Monat vor dem Wintereinbruch war die gefährlichste und blutigste Zeit im Abgrund.

Jetzt fand das gleiche Gemetzel auch hier draußen statt.

Diese Strecke zu den Ruinen war nicht lang. Auf dem gesamten Weg waren sie ausreichend vorsichtig und wählten versteckte Routen, um zu reisen. Vielleicht auch aus Glück begegneten sie keinen schrecklichen Monstern der Hybrid-Klasse.

Sie hatten sich um acht Uhr auf den Weg gemacht. Um halb zehn Uhr morgens war eine vom Wind und Sand halb vergrabene Stadt vor ihnen aufgetaucht.

Sie war sehr groß. Als sie näher kamen, konnten sie das Ende der Stadt nicht auf einen Blick erkennen. Inmitten der ununterbrochenen Abfolge von Gebäuden konnten sie schwach die Reste der Straße erkennen. Anders als die standardisierten Gebäude der Nördlichen Basis waren sie verstreut und ohne jedes Muster. Hohe und niedrige Gebäude standen nebeneinander, und runde und rechteckige Gebäude waren wahllos platziert worden. Die Straßen schlängelten sich und bogen sich und ein dunkelroter Turm stand in der Mitte der Stadt. Die Hälfte der Brücken waren eingestürzt und dicke Ranken hingen von ihnen herab, während sie in der Mitte der Straße weiter voranschritten.

Es gab Gebäude in allen Farben, aber gerade wegen der übermäßigen Anzahl von Farben verschmolzen sie in An Zhes Blickfeld allmählich zu einem nebligen Grau.

An Zhe blickte in die unendliche Ferne. Wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte er sich nicht vorstellen können, dass die Welt noch diese Art von komplizierter Stadt in sich trug. Wenn er einer ihrer Bewohner gewesen wäre, dann wäre es sicher normal gewesen, sich in ihr zu verirren.

Dunkle Wolken verdeckten die Sonne, der Himmel war bewölkt, und ein schwacher Nebel hing in der Luft.

Kommt mit mir“, sagte Xi Bei, „Wir von der Mine sind oft hierher gekommen, um nach Vorräten zu suchen, deshalb haben wir eine Festung in der Stadt. Eigentlich wäre es auch schön gewesen, in der Stadt zu leben, aber wir hatten zu viel Angst, dass es hier Monster gibt. Großvater wollte auch nicht. Er behauptete immer, dass die Höhle der sicherste Ort ist. Früher dachten drei der Onkel, das Leben in der Höhle sei zu schwierig und zogen deshalb in die Stadt. Danach gab es keine Nachrichten mehr von ihnen.“

Nachdem sie Xi Bei durch die Straßen mit zahlreichen Gebäuden gefolgt waren, kamen sie in einem Wohngebiet an, in dem sich große graue Gebäude dicht an dicht reihten. In der Ferne befand sich ein öffentlicher Platz, und in der Mitte des Platzes war eine weiße Kugel schwach erkennbar. In der stillen Stadt, abgesehen vom Wind, der durch die Gebäude wehte, war nur das Geräusch ihrer Schritte zu hören.

Lu Feng war dafür verantwortlich, die Umgebung zu überwachen. Da Xi Bei seinen Großvater trug, hatte er die ganze Zeit den Kopf gesenkt. Er sagte: „Es ist gleich hinter diesem öffentlichen Platz. Wir kommen bald an.“

Im selben Moment ertönte ein Husten aus der Kehle des Großvaters. Seine Stimmbänder vibrierten, während er immer wieder eine gleichmäßige Silbe ausstieß.

In seinem Hals befand sich Schleim, so dass seine Stimme undeutlich war. Sie konnten ihn gerade noch sagen hören: „Gu..., gu,... gu...“

Was?“, fragte Xi Bei.

Lu Fengs Schritte kamen abrupt zum Stillstand.

An Zhe schaute ihn an, sah aber, dass er auf den öffentlichen Platz vor ihnen starrte.

Dann spuckte er ein knappes Wort aus: „Lauft!“

Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. An Zhe spürte einen heftigen Ruck an seinem Arm und er folgte Lu Feng unbewusst, drehte sich um und rannte auf das nächstgelegene Gebäude zu.

Xi Bei wusste nicht, was geschehen war, aber er folgte ihnen schnell, während er seinen Großvater auf dem Rücken trug.

Das Wohngebäude hatte eine architektonische Struktur, die An Zhe vertraut war. Gleich am Eingang des Korridors begegnete ihnen ein bleiches, bekleidetes Skelett. Es lehnte an einer Ecke und schien mit der weißen Wand verschmolzen zu sein. Aber er war nicht in der Lage, genauer hinzusehen. Seinem Körper fehlte bereits die Kraft und so fiel er beim Hinaufgehen der Treppe. Lu Feng hob ihn einfach auf und erklomm schnell die Stufen. Das Treppenhaus war sehr geräumig und in jedem Stockwerk befanden sich drei Wohnungen.

Etwa in der achten Etage stand eine Tür weit offen und Lu Feng stürmte mit An Zhe direkt hinein. Xi Bei folgte dicht hinter ihnen, und sobald sie alle drin waren, schloss Lu Feng die Tür. Alle Möbel im Inneren waren mit Staub bedeckt und auf dem Wohnzimmersofa lag ein Skelett.

Dies war eine Wohnung mit drei Schlafzimmern und zwei Wohnräumen und sie hatte Fenster auf der Süd- und Nordseite. Ein Teil eines Wohnzimmers ragte balkonartig aus dem Gebäude heraus; es war ein riesiges französisches Fenster.

Lu Feng setzte An Zhe ab. Er atmete schwer, weil er zu schnell gerannt war. An Zhe hatte ihn noch nie in diesem Zustand gesehen. Aber im nächsten Moment... sah er Xi Bei aus dem Fenster schauen und sein Gesicht war blass und sein Blick unkonzentriert.

Er schaute nach vorne.

Weiß.

Ein weißes, kugelförmiges, etwa ein halbes Stockwerk hohes Monster bewegte sich mit einem seltsamen Gang - fast schwebend, geisterhaften Schritten gleich – langsam in ihre Richtung. Es war das Ding auf dem entfernten öffentlichen Platz, das An Zhe zunächst für eine weiße Dekoration gehalten hatte. Es war ein gigantisches Monster!

Und es kam direkt auf sie zu. Während es nur noch zwei Straßenzüge entfernt war, konnte An Zhe einen klaren Blick darauf werfen. Unter einem unbeschreiblich großen Körper wuchsen zappelnde Füße wie die eines Tintenfisches oder einer Schnecke. Die vordere Hälfte war für die Fortbewegung zuständig und die hintere Hälfte wurde einfach mitgeschleift. Sein Körper – ein fast kreisrunder Körper - war mit einer durchsichtigen Membran bedeckt, die eine Farbe hatte, die irgendwo zwischen weiß und hellgrau einzuordnen war. Unter der Membran befanden sich in seinem Körper zahllose schwarze oder fleischfarbene, unförmige Dinge - oder mit anderen Worten Organe. Dicht gedrängte Tentakel oder Gliedmaßen, oder andere Dinge, schlängelten sich ständig vorwärts.

Je näher es dem Wohngebiet kam, desto deutlicher waren die Details an seinem Körper. Es war eine hybridisierte Form, die sich dem menschlichen Verstandes vollkommen verschloss. Wo auch immer dieses Monster seine Augen hatte, man konnte sie nicht finden. Xi Bei starrte es geradewegs an und schien vor Schreck fast zu sterben.

Es kam näher.

Alle im Raum hielten den Atem an.



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