30.
"JEDE WAFFE WAR AUF IHN GERICHTET."
„WIR SIND diejenigen, die am
engsten mit dem Schicksal der Menschheit verbunden sind.“
Als Frau Lu noch ein kleines Mädchen war, hatte ihre Mutter ihr das gesagt. Damals war der Unterleib ihrer Mutter leicht geschwollen, denn ein neues Leben war dabei, heranzureifen.
„Wir sind diejenigen, die am engsten mit dem Schicksal der Menschheit verbunden sind.“
Nachdem sie erwachsen geworden war, erzählte sie dies auch anderen Mädchen. Damals trug sie die Verantwortung für die Erzeugung der nächsten Generationen für die Basis und widmete sich gleichzeitig der embryonalen Entwicklungstechnologie. Diese Forschung war äußerst wertvoll, und sie war die einzige fruchtbare Frau, die frei aus dem Garten Eden und dem Leuchtturm gehen dürfte. Eines Tages lernte sie in einem Korridor der Zwillingstürme einen gutaussehenden grünäugigen Offizier kennen. Und danach bekam sie ein Kind. Die Geburt dieses Kindes hatte nichts zu tun mit ihrer Pflicht.
Wegen der Arbeit beider Parteien konnte sie den Vater des Kindes nicht oft treffen, nur gelegentlich war es ihnen möglich, über die Kommunikatoren zu sprechen.
„Manchmal denke ich, ... dass ich das Rosenmanifest verraten habe“, sagte sie.
„Warum denkst du das?“, am anderen Ende des Kommunikators war eine gleichmäßig ruhige Stimme, „Wächst in dir nicht gerade ein neues Leben heran?“
„Kinder mit dem Geliebten zu bekommen, war ein Recht, das Frauen nur hatten, bevor es das Manifest gab“, sie strich sich mit den Fingern sanft über ihren Bauch, „Die Freiheit zu haben, meine Gebärmutter zu kontrollieren, ohne Vorschriften zu verletzen oder die Ressourcen der Basis zu schädigen, macht mich... sehr glücklich, obwohl diese Denkweise sehr gefährlich ist.“
Die Erinnerungen waren lückenhaft, mit nur wenigen Stichpunkten.
„Er geht zum Militär“, sagte Frau Lu, „Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er zum Zentrum der Vereinigten Front gehen könnte, und die Zuteilungen sind bereits gemacht worden. Wenn du zum Stützpunkt zurückkommst, wirst du ihn kennen lernen.“
„Hat er Ähnlichkeit mit mir?“
„Ein wenig. Die Ähnlichkeit ist nicht sehr groß, und sein Charakter ist auch nicht wie der deine. Die Basis erlaubt niemandem, ihre Blutsverwandtschaft zu erfahren, aber sobald du ihn siehst, wirst du wissen, wer er ist.“
„Ich freue mich wirklich darauf, ihn zu sehen.“
„Du wirst ihn sehen“, sagte Frau Lu, „Pass auf dich auf, da draußen in der Wildnis.“
„Das werde ich“, sagte die Person, „Dieses Mal haben wir sehr wichtige wissenschaftliche Forschungsmaterialien gefunden, von denen einige auch mit deinem Thema zu tun haben.“
Sie lächelte: „Du hast wirklich hart gearbeitet. Meine Forschungen sind in der letzten Zeit auch sehr gut gelaufen.“
„Ich vermisse dich“, die männliche Stimme auf der anderen Seite wurde plötzlich leiser, „Letzte Nacht habe ich von dem Tag geträumt, an dem die Menschheit die Katastrophe vollständig überlebt hat. Wir waren noch am Leben, und unsere Kinder auch. Wir waren auf ewig glücklich wie alle anderen normalen Menschen.“
Ihre Stimme war ebenso sanft: „Komm bald wieder.“
Alles war voller Hoffnung, aber die wenigen Erinnerungen an das Glück ihres gemeinsamen Lebens endeten dort.
Zehn Tage später konnte sie ihren Geliebten nicht mehr anrufen und erfuhr auch nichts von ihm.
Sie hatte sich also auf den schlimmsten Fall vorbereitet.
An dem Tag, an dem sie beschlossen hatte, zum Zentrum der Vereinigten Front zu gehen, um sich nach dem Verbleib ihres Geliebten zu erkundigen, begegnete sie ihrem eigenen Kind auf dem Korridor.
Sie hatte ihn nicht oft gesehen. Wie im Handumdrehen war das Kind, das sich aus dem sechsten in den zweiundzwanzigsten Stock geschlichen hatte, um sie zu sehen, zu einem tüchtigen Erwachsenen geworden, der zu einem gut aussehenden jungen Offizier herangewachsen war.
Obwohl ihr Herz voller Angst war, fühlte sie sich, wenn sie ihn sah, dennoch etwas getröstet: „Du bist auch hier.“
Lu Feng sagte mit leiser Stimme: „Mutter.“
In diesem Moment sah sie die Verzierungen auf seiner schwarzen Uniform und das silberne Abzeichen auf seiner Brust: „Hat dich die Basis nicht dem Zentrum der Vereinigten Front zugeteilt?", fragte sie leicht verwirrt.
„Ich bin beim Prozessgerichtshof“, antwortete er.
„Warum bist du dorthin gegangen?“, fragte sie und sah ihn besorgt an. Wenn man sie nicht dazu zwang, waren nur sehr wenige junge Menschen bereit, dem Gerichtshof beizutreten.
„Ich habe mich freiwillig gemeldet“, in den kalten grünen Augen des jungen Offiziers schienen sich komplizierte Emotionen zu verbergen, aber am Ende wirkten sie wieder ruhig und rational, „Am Strafgerichtshof kann ich von größerem Nutzen sein als im Zentrum der Vereinigten Front.“
Sie wollte noch etwas sagen, aber schließlich schüttelte sie resigniert den Kopf. Jeder wusste, dass das Tribunal ein Ort des Wahnsinns war, an dem jeder unweigerlich zu einem schrecklichen Ende kommen würde.
Aber als es Zeit war, sich zu trennen, rief Lu Feng ihr von hinten zu: „Mutter.“
Frau Lu drehte sich um und sah ihn an. Lu Feng starrte sie an, seine Stimme klang leicht heiser, als er fragte: „Warum bist du hergekommen?“
„Nur so“, da sie nicht die Absicht hatte, ihrem Kind solche Dinge mitzuteilen, lächelte sie nur, „Pass gut auf dich auf.“
Und so ging sie und öffnete die Bürotür des Informationsbüros des Zentrum der Vereinigten Front.
„Hier ist der Informationsdienst. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Der Befehlshaber des Ersten Kampfordens, Generalleutnant Gao Tang... Ist er noch in der Wildnis?“, fragte sie.
Von der anderen Seite des Schalters ertönten ein paar Tastenanschläge.
„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte die Mitarbeiterin schließlich, „Der Generalleutnant ist bereits als tot bestätigt.“
Ihre Finger waren eiskalt, aber es gelang ihr, ihre Fassung zu bewahren. Sein Leben für die Basis zu geben, war das Schicksal eines jeden Soldaten.
„In... in... der Wildnis?“
„Am Eingang zur Stadt“, sagte die Mitarbeiterin, „Aus den Aufzeichnungen des Gerichts geht hervor, dass Generalleutnant Gao Tang als infiziert eingestuft wurde und eliminiert worden ist.“
Ihre Sicht verschwamm, und sie war fast nicht mehr in der Lage, aufrecht zu stehen.
„Gnädige Frau?“, rief die Mitarbeiterin ihr besorgt zu.
„Das Tribunal...“, wiederholte sie murmelnd, „Sind die Urteile immer korrekt?“
„Sie sind im Allgemeinen immer ziemlich genau. Die Genauigkeit jeder Generation von Gerichtsschülern kann auf achtzig Prozent kontrolliert werden. Die durchschnittliche Genauigkeit der Auszubildenden, die in diesem Jahr offiziell am Gericht angefangen haben, liegt bei neunzig Prozent. Gnädige Frau, benötigen Sie Hilfe? Gnädige Frau?“
Während sie benommen dastand, erklang Lu Fengs heiserer Ruf, „Mutter“, als sie sich zuvor im Korridor begegnet waren, plötzlich in ihren Ohr und hallte dort unablässig wider. Ihr Körper zitterte. Vermutlich erschrocken über die Untätigkeit der Frau, fügte die Mitarbeiterin hinzu: „Ihre Autoritätsstufe ist hoch genug, um einen detaillierten Bericht einzusehen. Wenn Sie möchten, kann ich die genauen Daten und die ID-Nummer des Richters, der zu diesem Zeitpunkt zuständig war... gnädige Frau?“
„Nein!“, ihre Augen weiteten sich, als hätte sie etwas Schreckliches in der Luft gesehen, „Schauen Sie nicht nach... schauen Sie bitte nicht nach.“
Die Erinnerungen wirkten verwaschen, die einzelnen Szenen verschwommen. Sie hatte nicht nur ihren Geliebten verloren, sondern sie hatte sich von diesem Tag an auch allmählich von Lu Feng entfernt.
Sie war nahe daran gewesen, auch ihn zu verlieren.
In der Tat verlor sie jeden Tag eines ihrer Kinder.
An dem Tag, an dem die Äußere Stadt bombardiert wurde, lauschten sie dem fernen Dröhnen, während sich Lily in ihrer Umarmung wand: „Warum haben sie ihre eigene Stadt in die Luft gejagt?“
„Damit die Menschheit sicherer sein kann.“
„Aber die Menschen dort sind auch die Kinder des Gartens Eden“, sagte Lily, „Wenn diese Kinder nicht wichtig sind, warum müssen wir dann hier eingesperrt werden?“
„Sie haben ihre eigenen Gründe. Für hochgesteckte Ziele müssen sie Entscheidungen treffen“, sagte sie leise, während sie Lily im Arm hielt, „Die Hauptstadt und die Äußere Stadt sind beide unsere Kinder. Manchmal will das Kind egoistisch sein und manchmal auch seine Mutter und seine Mitbürger verletzen. Nur wenn wir es verstehen, werden wir keinen Schmerz empfinden.“
Während sie sprach, sah sie das Blut, das in ihrer Kindheit unter der Tür durchgesickert war, das Abzeichen des Gerichts auf Lu Fengs Brust und den in der Ferne aufsteigenden Atompilz – und diese drei Bilder überlagerten sich vor ihren inneren Auge.
Lily stellte eine weitere Frage: „Verstehst du es denn?“
Sie antwortete nicht auf die Frage. Sie drückte ihre eigene Stirn gegen Lilys Stirn und schloss die Augen: „Ich hoffe wirklich, dass ihr alle nie wieder diese Art von Schmerz erfahren müsst.“
Als ob ein trauriges Musikstück zu Ende gegangen wäre, öffnete An Zhe langsam die Augen.
Er fand sich neben dem Rosenbeet liegend wieder. Als er nach oben blickte, sah er die tiefroten Blüten und dunkelgrünen Blätter, zwischen denen einige Glasscherben glitzerten. Ein dunkler Schatten schob sich durch sein Blickfeld, und er schaute noch weiter nach oben. Das Loch in der Kuppel, das ursprünglich nur die Bienenkönigin beherbergen konnte, war größer geworden und machte nun drei Viertel der Kuppel aus. Die gebrochenen Ränder schimmerten im Licht, und eine Biene von der Länge eines menschlichen Arms flog durch dieses Loch hindurch.
Die Welle war verschwunden, und von der Bienenkönigin war keine Spur mehr über der Kuppel zu sehen, aber das Glas wies Spuren ihres Durchbruchs auf. Im nächtlichen Himmel draußen explodierten Schüsse wie Feuerwerkskörper. Die Streitkräfte der Menschen hatten den Kampf aufgenommen, doch ob sie die Bienenkönigin getötet hatten war ihm unbekannt. Aber es war auch sicher sehr schwierig, eine Biene in den Weiten der Nacht zu treffen. An Zhe sah die kleine Biene höher und höher fliegen, bevor sie im silbernen Licht des Mondes verschwand.
Dann gab es noch mehrere dunkle Schatten. Mit dem Summen von vibrierenden Flügeln strömten erst fünf, dann zehn, dann unzählige Bienen aus allen Richtungen. Einige der Bienen trugen noch Fetzen von weißem Stoff an sich. An Zhe schaute nach, woher sie kamen, und sah, dass der zweiundzwanzigste Stock völlig verlassen war, kein einziger Mensch war mehr zu sehen.
Alle hatten sich in Bienen verwandelt und flogen nach draußen.
Bienen -
Ein weiteres flackerndes Bild erschien in An Zhes Kopf. Er war eine Biene, eine normale Biene, die keine Menschen fraß und nur vom Blütennektar lebte.
Es war ein Sommertag, die Fortpflanzungszeit der Bienen, aber sie war versehentlich in eine menschliche Stadt geflogen. Diese Stadt war uneinnehmbar, die Türen und Fenster fest verschlossen. Die Biene wollte einfach nur Pollen finden, den sie essen konnte, aber das gelang ihr von Anfang bis Ende nicht.
Endlich sah die Biene sie - hinter einer Glasscheibe stand eine leuchtend rote Rose in voller Blüte.
Eine Frau kümmerte sich um diese Blume. Sie stand neben der Fensterbank und betrachtete die Rose mit einem Lächeln. Nach einer langen Zeit schaute sie dann lustlos in den Himmel und wünschte sich anscheinend sehr, das Fenster zu öffnen und den Himmel zu berühren.
Die Biene wartete also sehr lange, bis die Frau wegging und zurückkam, bis sie nach draußen schaute und benommen eine einzige Träne vergoss.
Als hätte sie endlich einen Entschluss gefasst, stieß sie das Fenster auf und der Wind - der ungebändigte Wind - strömte von draußen herein. Sie schloss die Augen, als könnte sie mit dem Wind fliegen.
Die Biene war schon sehr lange hungrig gewesen. Nachdem sie im Blütenkelch der Rose gelandet war, bedeckten Pollen ihre pelzigen Hinterbeine, und sie steckte ihren schlanken Rüssel in die Mitte der Blüte.
Aber sie wurde sehr schnell entdeckt.
Die Frau streckte eine Hand nach ihr aus, ihre Finger zitterten leicht und auch ihre Augen waren geweitet. Es war sogar eine leichte Verrücktheit zu spüren, so als wäre es das erste Mal, dass sie ein solches Lebewesen wie eine Biene gesehen hatte. Sie bewegte sich sehr langsam, keineswegs so, als wolle sie die Biene verscheuchen, aber der Instinkt der Biene gab vor, was als Nächstes geschehen würde.
Als ihre Finger nur noch wenige Millimeter davon entfernt waren, sie zu berühren, stach die Biene sie unbewusst.
Die Biene starb, und als ihr Körper den Finger der Frau verließ, wurde ein Teil ihrer Eingeweide mit herausgezogen und am Ende des Stachels hängen gelassen. Eine Biene konnte ihren Stachel nur einmal in ihrem Leben benutzen.
Aber sie schien auch nicht gestorben zu sein, denn während ihr Körper in die Rose fiel, schien ihr Bewusstsein ein Teil des Bewusstseins dieser Frau zu werden.
Auf diese Weise schlief sie für eine lange Zeit, und niemand wusste von ihrer Existenz. Sogar die Frau selbst dachte, dass sie nur gestochen und nicht infiziert worden war.
Bis der Bienenanteil in ihrem Bewusstsein allmählich durch die seltsamen Wellen aus der Ferne aktiviert wurde.
Die Erinnerungen der Biene waren sehr einfach. Wenn man diese Erfahrung weglässt, könnte man sie sogar als unauffällig bezeichnen.
Als An Zhe seine Augen wieder öffnete, verschwanden diese Dinge allmählich aus seinem Gedächtnis und die Rosen vor seinen Augen waren immer noch so prächtig wie zuvor. Wer hatte die Blume damals Frau Lu gegeben?
Nur zwei Menschen würden ihr Blumensamen schenken, ihr früherer Geliebter und ihr Sohn Lu Feng. Der Grund, warum sie ihr Blumen schickten, war nur, um sie ein wenig glücklicher zu machen.
In der Zeit, in der die Rosen blühten, rührte der schöne Anblick ihr Herz, und sie wollte dann draußen in der Sonne baden und den reinen Wind spüren. So traf sie die Biene, die auf der Suche nach Blumenpollen gekommen war.
Draußen wehte der Wind. An Zhes Kopf wurde allmählich klar, und er erhob sich vom Boden. Die Umgebung war menschenleer. Zerfetzte Kleidung, Kommunikatoren und die verschiedenen Dinge, die die Leute immer bei sich trugen, lagen überall auf dem Boden verstreut. Er konnte sich vorstellen, dass er, als er von der starken Welle erfasst wurde und in das Bild der Erinnerungen von Frau Lu und der Biene gefallen war, alle Anwesenden ebenfalls von der Welle mitgerissen worden waren. Die Hunderte von Menschen hatten sich in Hunderte von Bienen verwandelt, die alle durch das Loch oben in der Kuppel in den Himmel geflogen waren.
Aber er war eine Ausnahme. Er hatte immer noch seinen menschlichen Körper behalten. Genau wie damals, als er von einem Insekt gestochen worden war, war er nicht mutiert.
Genau in diesem Moment kam in An Zhes Herz ein Gefühl der Gefahr auf. Er hob den Kopf und blickte auf die Spitze der Kuppel. Drei kleine Militärhubschrauber hatten soeben das Feuer auf den Bienenschwarm eröffnet. An Zhe blinzelte in diese Richtung, aber er stellte fest, dass in diesem Moment eine schwarze Gewehrmündung aus dem Fenster eines Hubschraubers ragte und direkt auf ihn zielte.
Gleichzeitig ertönten unruhige Schritte von draußen vor der Tür.
Im Hintergrund ertönten Alarmsignale,
und Notleuchten und rote Alarmleuchten blinkten alle wie wild
durcheinander. Der Boden bebte und die schwer bewaffneten Soldaten
der Notfallabteilung strömten herein und umzingelten An Zhe. Jeder
von ihnen trug schwere Waffen, und jede Waffe war auf ihn gerichtet.
________________
Unterirdische Stadtbasis,
Kernbereich.
„Danke für Ihre Hilfe“, der in weiß gekleidete Offizier nahm seine Dienstmütze ab, „Wir hatten angenommen, dass die Nördliche Basis nicht kommen würde.“
Das Schlimmste war endlich vorüber.
Die Geräusche der Schüsse und Explosionen hallten nur noch in der Ferne nach, und der Boden war mit zerbrochenem Glas und zerstörten Instrumenten übersät.
Ein anderer Offizier sagte schnell: „Die Voraussetzung für eine kontaktlose Infektion ist die unmittelbare Nähe zu den Monstern! Räumt zuerst die Leichen weg!“
Dann ertönte ein Schuss und der Beamte stürzte zu Boden. Derjenige, der das Feuer eröffnet hatte, war ein Offizier der Unterirdischen Stadtbasis.
„Das ist unser Richter“, sagte der weißgekleidete Offizier neben Lu Feng, „Nach dem Fall der Virginia-Basis folgten wir eurem Beispiel und errichteten auch ein Gericht. Im Laufe der Jahre war das Gericht wie ein Schutzengel für den Stützpunkt.“
Unter dem Schutz von Soldaten ging ein Team von Ingenieuren durch das halb eingestürzte Stahltor und in das Innere des Magnetpols, um eiligst Notreparaturen durchzuführen.
Als Lu Feng in diese Richtung blickte, fragte er: „Wie konnte diese Invasion überhaupt geschehen?“
„Es war ein reiner Rohe-Gewalt-Angriff. Sie kamen aus dem riesigen Regenwald, der dreihundert Kilometer entfernt ist, mit dem einzigen Ziel, menschliche Gene zu erhalten. Die Unterirdische Stadt ist zudem sowohl warm als auch sicher und damit der beste Ort für das Überleben von Lebewesen.“
„Und was war mit ihrer Absicht, den Magnetpol zu zerstören?“
„Die Gene von Menschen, das angeeignete Denkvermögen und das Wissen der Menschen, dass sie erlangt haben sind ständig im Fluss. Wir können nur vermuten, dass sie bereits ein wenig darüber wissen, dass durch die Zerstörung des Magnetpols die Menschheit ins Chaos gestürzt wird, was für ihre Angriffe auf uns dann nur vom Vorteil wäre.“
„Sie sind zu zahlreich und zu mächtig. Unsere Ausrüstung ist unzureichend und unsere Forschungs- und Entwicklungskapazitäten sind im Niedergang begriffen, so dass wir nicht in der Lage waren, ihren Angriff zu unterdrücken. Wir hatten keine andere Wahl, als um Hilfe zu bitten“, der Offizier rieb den Schulterstutzen seiner Waffe, „Warum hat die Nördliche Basis immer noch so viel Munition und Reserven an thermonuklearen Waffen? Haben Sie eine Art technologischen Durchbruch erzielt?“
„Im Moment noch nicht“, Lu Feng zog seine blutbefleckten Handschuhe aus, seine Stimme war nichtssagend, als er die Frage des Offiziers beantwortete, „Die Nördliche Basis hat genügend Anzahl von Truppen. Wenn wir an der Front kämpfen, können wir den zahlenmäßigen Vorteil nutzen, um den Verbrauch von Rüstungsgütern zu verringern.“
„Umgekehrt ist der Grund für den hohen Rüstungsverbrauch unserer Basis gerade wegen unseres Truppenmangels“, der Offizier runzelte die Stirn, während er angestrengt nachdachte, „Ich hab's... Es liegt an diesem heftig kritisierten Vorfall mit dieser Rosenmanifest-Geschichte.“
Bevor Lu Feng antworten konnte, hatte der Offizier eine Eingebung, aber der Ausdruck in seinen Augen war sehr kompliziert: „Die Nördliche Basis scheint in allem immer außergewöhnliche Entscheidungen zu treffen.“
„Ich bewundere wirklich die Kombinationsfähigkeit, die Sie haben“, antwortete er schließlich.
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Die Nördliche Basis.
Als An Zhe aus dem zweiundzwanzigsten Stockwerk eskortiert wurde, kam er an der Haupthalle vorbei. Vor einer Stunde war dies noch ein Ort mit beruhigender Musik und einer sanften Atmosphäre gewesen, aber jetzt herrschte hier das reinste Chaos.
Niemand ging hier mehr herum und ein Teetisch war in einer Ecke umgekippt. Glastassen lagen auf der Seite, und überall war verschüttete Milch, die ein weißes Kleid durchnässte, das auf dem Boden lag. Auf diesem weißen Kleid waren einige glänzende honigfarbene Dinger, die an den Flaum an den Gliedmaßen einer Biene erinnerten.
„Wie viele Menschen wurden infiziert?“, rief der Kommandant des Katastrophenschutzes in seinen Kommunikator.
„Der komplette zweiundzwanzigste, einundzwanzigste und zwanzigste Stock!“, eine knirschende Stimme antwortete ihm aus dem Kommunikator, „Alle Frauen im Garten Eden, die den Standards des Rosenmanifests entsprechen, sowie alle Mitarbeiter und die große Mehrheit der Embryonen, die sich in den Kultivierungsgeräten im zwanzigsten Stockwerk befinden. Es gibt auch einige in den anderen Stockwerken, und sie werden gerade gekeult!“
Die Finger des befehlshabenden Offiziers verkrampften sich und zerdrückten fast den Kommunikator.
Der stellvertretende Kommandant fragte: „Was machen wir denn jetzt?“
„Alles aufräumen! Oder bist du weich in der Birne geworden?“, der wütende befehlshabende Offizier wirbelte herum und der stellvertretende Kommandeur erschauerte, aber derjenige, zu dem er sich umdrehte, war nicht der stellvertretende Kommandeur, sondern An Zhe.
Im fahlen Lampenlicht war seine Miene so kalt wie eine Steinstatue.
„Was genau ist im zweiundzwanzigsten Stock passiert?“, seine Stimme war wie ein Donnerschlag direkt an An Zhes Ohr, der ihm Kopfschmerzen bereitete. Die Soldaten, die ihn eskortierten, schoben ihn vorwärts, und er spürte, dass die Knochen seiner Schultern kurz davor waren, zerquetscht zu werden.
Der Schmerz ließ An Zhe leicht erbeben. Er senkte seine Lider: „Frau Lu ist mutiert“, sagte er.
„Wo warst du zu diesem Zeitpunkt?“
„...vor ihr.“
„Warum sollte sie mutieren?“, brüllte er, „Der zwanzigste und alle höheren Stockwerke des Garten Eden sind absolut wasserdicht! Wie könnten die Frauen hier also mutieren?“
„Vor vielen Jahren... wurde sie einmal von einer Biene gestochen“, antwortete An Zhe wahrheitsgemäß, und die Augen des Offiziers vor ihm wurde so beängstigend heftig groß, dass er unbewusst einen Schritt zurücktrat und von den ihn begleitenden Soldaten hinter ihm wieder nach vorne geschoben wurde.
„Wenn sie mutieren könnte, hätte sie es schon längst getan!“, der befehlshabende Offizier zückte die Pistole an seiner Hüfte.
„Herr Oberst, beruhigen Sie sich ein wenig. Die derzeitige Situation -“, fiel ihm der stellvertretende Kommandeur zittrig ins Wort.
Die eiskalte Mündung der Pistole wurde gegen An Zhes Schläfe gepresst.
„Du willst also jetzt für ihn sprechen?", die Adern im Nacken des Obersts wurden deutlich sichtbar, „Ich habe ihn während des Transfers gesehen! Er ist jemand vom Leuchtturm, kein Arbeiter aus dem zweiundzwanzigsten Stock - hatte der Leuchtturm nicht diese seltsame Bienenprobe? Ich habe vor langer Zeit gesagt, dass diese Wissenschaftsverrückten da drüben in den Zwillingstürmen Xenogenics züchten und dass es früher oder später zu Unfällen kommen wird! Genau wie diese alte Fusionsfraktion früher zielen die es doch nur darauf ab, dass die Basis krepiert!“
Der stellvertretende Kommandeur fragte: „Wollen Sie nicht besser das Gericht kontaktieren?“
„Es gibt keinen Grund, das Gericht zu rufen“, der Oberst drückte den Pistolenhahn herunter, seine Stimme war kalt, „Er ist mit der Infektion in Berührung gekommen!“
An Zhe schloss langsam die Augen.
Er kannte die Bedeutung, die das jüngste Ereignis für die Menschen in dieser Basis hatte. Das Verschwinden der Mütter und Kinder bedeutete, dass die menschliche Basis ihre Zukunft vollständig verloren hatte. Unter diesen Umständen war es egal, was der Oberst nun tat, er würde nicht überrascht sein.
Genau in diesem Moment!
„Oberst!“, eine vertraute Stimme ertönte vom Ende der Haupthalle. Es war der Arzt.
An Zhe blickte in diese Richtung.
„Er kommt aus dem Garten Eden und assistiert dem Leuchtturm derzeit bei einer Studie“, sagte der Arzt, „Bitte überlassen Sie ihn mir.“
„Alle wurden infiziert und nur er lebt. Außerdem wurde seine Verhaftung angeordnet wegen einer verschwundenen Probe“, die Stimme des Oberst war tief, „Beabsichtigt der Leuchtturm, ihn abzuschirmen? Welche Nachforschungen haben Sie genau gemacht? Warum ist eine Ansteckung ohne Kontakt möglich?“
„Unabhängig davon, ob diese Sache etwas mit dem Leuchtturm zu tun hat oder nicht, müssen Sie ihn mir aushändigen“, sagte der Arzt, „Denn wenigstens weiß ich, dass wenn er getötet wird alles verloren ist.“
Der Oberst lachte hämisch: „Und dann werden Sie nur weiter Ihre gefährlichen Experimente fortsetzen?“
„Was heute Nacht geschehen ist, hat absolut nichts mit den Experimenten des Leuchtturms zu tun“, sagte der Arzt mit ruhiger Stimme, „Im Gegenteil, wir müssen jetzt herausfinden, warum die Dinge so sind, wie sie sind.“
„Seit mehr als hundert Jahren sagt ihr Wissensfutzis, ihr könnt die Ursache einer Infektion herausfinden, aber im Moment seid ihr doch absolut unwissend. Ihr seid unfähig und nicht in der Lage, auch nur Anhaltspunkte zu finden“, sagte der Oberst, „Wie kann mir also der Leuchtturm garantieren, dass es nicht noch gefährlicher wird, wenn wir ihn in der Nähe zu behalten?“
„Ich kann es nicht garantieren“, - der Arzt sah den Oberst direkt an -, „aber ich weiß, dass die Situation auf der Basis nicht schlimmer werden wird als sie bereits jetzt schon ist.“
Nach einem kurzen Schweigen zitterte die Hand des Oberst, die die Waffe hielt. Die Worte des Arztes schienen ihm in diesem Moment alle Kraft zu rauben. Langsam sagte er: „Ich will in einer Stunde Fortschritte sehen!“
Der Arzt sagte: „In Ordnung.“
…
Mit einem Knall fiel die Tür des Verhörraums zu, und die begleitenden Soldaten standen draußen Wache. Durch eine Glasscheibe hindurch sahen sich An Zhe und der Arzt an. Das Vorgehen der Soldaten war grob gewesen. Sie hatten ihn praktisch hineingeworfen, und sein Rücken und seine Schulterblätter pochten noch immer vor Schmerz.
Aber der Arzt grüßte ihn nicht. Es war keine Zeit und vielleicht war er auch nicht in der Stimmung dazu.
Seine erste Frage war identisch mit der des Obersts: „Was genau ist heute Nacht passiert?“
An Zhe erzählte ihm die Wahrheit. Anders als der Oberst glaubte ihm der Arzt nach einer kurzen Bedenkzeit: „Du sagst also, dass in ihrem Körper schon immer xenogene Gene vorhanden waren, die erst jetzt zum Vorschein kamen?“
An Zhe nickte.
„Sie hat die Frauen und den Nachwuchs der Basis getötet. Hat sie diese Entscheidung aus Hass auf die Basis getroffen? Willst du damit sagen, dass sie, während sie bei klarem Verstand war, sie eine berührungslose Infektion in einem bestimmten Umkreis ausgelöst hat?“
„Das ist es nicht“, An Zhe schüttelte den Kopf, „Als sie sich gerade in eine Biene verwandelt hatte, wollte sie nur diesen Ort verlassen, aber die Biene kehrte später zurück.“
„Glaubst du, dass ihr Bewusstsein zu diesem Zeitpunkt bereits übernommen worden war?“
„Ja.“
Der Arzt lachte plötzlich, aber es klang sehr schrill. Seine Augenbrauen waren gerunzelt und die Augenwinkel nach unten gezogen. Es war ein lächelnder Ausdruck, der noch hässlicher aussah als Weinen: „Selbst sie wurde nicht verschont.“
An Zhe sah ihn schweigend an.
„Schau mich nicht mit einem solchen
Ausdruck an“, der Arzt holte tief Luft, „Es ist, als wüsstest du
nichts, aber auch als wüsstest du
alles.“
An Zhe sagte: „Ich weiß gar nichts.“
„Si Nan... Dass Si Nan gelegentlich bei klarem Verstand bleibt, ist schon eine Möglichkeit von eins zu zehntausend“, sagte der Arzt und fragte dann weiter, „Kennst du die Fusionsfraktion?“
An Zhe schüttelte den Kopf.
„Vor hundert Jahren war die wissenschaftliche Forschungsstärke der Basis gewaltig. Viele Wissenschaftler glaubten, andere Organismen könnten durch Mutation größere Körper und mehr Kraft erlangen und dann durch gegenseitige Infektion und Variation die Fähigkeit erlangen, sich an die Umwelt anzupassen. Sie behaupteten, der Mensch könnte das auch“, sagte der Arzt.
„Sie beobachteten zunächst die Veränderungen, die die Strahlung im menschlichen Körper bewirkte, aber je komplexer die Gene eines Organismus sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer günstigen Mutation. Wenn Menschen der kosmischen Strahlung ausgesetzt sind, dann bekommen sie nur verschiedene Krebsarten am ganzen Körper oder andere genetische Störungen. Später glaubten sie, dass die genetische Infektion ein Mittel sei, mit dem Menschen sich weiterentwickeln könnten, weshalb sie als 'Fusionsfraktion' bekannt wurden. Sie führten viele verrückte Experimente durch, infizierten Monster mit verschiedenen Monstern und infizierten Menschen mit Monstern. Sie schufen zahllose Xenogenics mit dem Ziel, zu beobachten, wie sich menschliche Gene verändern und wie man den menschlichen Willen in ihrem Gedächtnis bewahren kann. Sie entdeckten die Zerbrechlichkeit des menschlichen Willens und dass die menschliche Intelligenz sehr leicht durch die Xenogenics erworben werden kann, aber es gab tatsächlich Individuen, die ihre post-mutierten Körper mit menschlichem Denken kontrollieren konnten - wenn auch nur für begrenzte Zeiträume, manchmal lang und manchmal kurz.“
An Zhe hörte schweigend zu, aber er sah, wie sich die Mundwinkel des Arztes zu einem selbstironischen Lächeln verzogen: „Das war eine gute Nachricht. Sie haben weitere Proben genommen und schließlich alle Einflussfaktoren eliminiert, aber sie sind zu einem bestimmten Schluss gekommen. Es gibt keine wie auch immer geartete externe Methode, die einem Menschen helfen kann, seinen Willen aufrechtzuerhalten. Ob eine Person nach einer Infektion bei klarem Verstand bleibt oder nicht, hängt nicht von der Hartnäckigkeit ihres Willens ab. Wenn eine Person infiziert ist, besteht eine Chance von eins zu zehntausend, dass sie ihr Bewusstsein behält, während die anderen 9.999 ihren Willen verlieren. Das ist nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Alles ist zufällig, alles ist unregelmäßig, alles ist unkontrollierbar. Der Zufall ist das Furchterregendste für die Wissenschaft. An dem Tag, an dem diese Schlussfolgerung gezogen wurde, begingen mindestens drei Wissenschaftler der Fusionsfraktion Selbstmord. Aber es gab auch einige, die nicht den Mut verloren und weiter ihre Forschungen betrieben. Sie glaubten, dass der Grund, warum diese Angelegenheit nur zufällige Ergebnisse lieferte, darin begründet war, weil wir den entscheidenden Faktor noch nicht gefunden hatten oder dass der entscheidende Faktor jenseits dessen lag, was man mit menschlicher Technik verstehen konnte.“
„... Und dann?“, fragte An Zhe.
„Dann gab es keine Fusionsfraktion
mehr. Alle Proben wurden getötet und alle Forschungen wurden eiligst
eingestellt“, die Stimme des Arztes wurde leise, „In jenem Jahr
verseuchte ein humanoides Blutegel-Xenogenic die Wasserquelle der
gesamten Äußeren Stadt und die ganze Stadt war dem ausgesetzt. Die
zehn Tage, in denen das Tribunal eingerichtet wurde und das Blut wie
Wasser floss... Dieses Xenogenic war ein Versuchsobjekt der
Fusionsfraktion gewesen und hatte über menschliche
Intelligenz
verfügt.“
An Zhe dachte angestrengt nach und verdaute die Implikationen der Worte des Arztes.
Doch dann hörte er den Arzt abrupt sagen: „Ich habe ihm genug gesagt. Hast du dein Urteil gefällt?“
An Zhe war fassungslos. Als er den Kopf hob, sah er, wie eine Tür auf der einen Seite des Raumes geöffnet wurde und Seraing und ein weiterer Richter hereinkamen, um sich hinter den Arzt zu stellen. Plötzlich blickte er auf die Seite des Vernehmungsraums, in dem er sich befand. An der Wand war ein riesiger glatter Spiegel.
„Es ist ein Einwegspiegel“, sagte der Arzt, „Seraing hat dich die ganze Zeit beobachtet.“
„Nach den Regeln des Prozesses“, sagte Seraing und sah An Zhe an, „glaube ich immer noch, dass er ein Mensch ist.“
„Das dachte ich mir schon“, der Arzt stieß endlich einen Seufzer der Erleichterung aus, „Selbst Lu Feng könnte ihn bequem an seine Seite stellen.“
Dann riss der Arzt plötzlich seine Augen weit auf: „Lu Feng...! Wenn Frau Lu schon vor langer Zeit infiziert worden ist und es sich sich erst in den letzten Tagen allmählich entwickelt hat und sie sogar Si Nan infizieren konnte, ohne dabei ihren Verstand verloren zu haben... warum hat Lu Feng das dann nicht gesehen?“
„Ich bitte um Verzeihung“, Seraings sanfte Wimpern senkten sich, „Das Prozessgericht war nie in der Lage zu beurteilen, ob die Frauen des Garten Eden infiziert sind oder nicht.“
Der Doktor war verblüfft: „Warum ist das so?“
„Das Umfeld, in dem sie aufwachsen, unterscheidet sich zu sehr von dem der normalen Menschen. Nach den Regeln der Prüfung entspricht nicht jede einzelne Frau den Normen.“
Der Arzt war verblüfft.
Fünf Sekunden später konnte er sich ein lautes Lachen nicht verkneifen. Er beugte sich vor, sein Körper zitterte, und seine Hände umklammerten die Armlehnen des Stuhls mit einem unlösbaren Griff.
Erst nach vollen drei Minuten hörte er auf zu lachen.
Danach veränderte sich sein Gesichtsausdruck zu einem Ausdruck der Verzweiflung. Die Farbe auf seinen Wangen schwand und hinterließ nur noch einen blassen Teint: „Erinnerst du dich noch an die Ursache des Unglücks, das sich vor nicht allzu langer Zeit in der Äußeren Stadt ereignet hat?“, fragte er plötzlich.
„Das tue ich“, sagte Seraing, „Die Kreaturen der Insektenklasse hatten ihre Brutzeit.“
„So lässt sich auch erklären, warum
die Frau so viele Menschen infizieren konnte“, sagte der Arzt, „Sie
wollte den Garten Eden verlassen, wo das einzige Ziel die menschliche
Fortpflanzung war. Sie wollte die Freiheit erlangen, auch wenn sie
dafür ihre menschliche Gestalt und ihr Bewusstsein aufgeben
musste. Allerdings... Der Moment, in dem sie sich vollständig von
ihrem menschlichen Körper befreite, war auch der Moment, in dem sie
vom biologischen Instinkt der Bienenkönigin kontrolliert
wurde...
Zurzeit ist Brutzeit für Gliederfüßer. Was sie tat,
als sie ein Mensch war, musste sie auch nach ihrer Verwandlung in
eine Bienenkönigin tun. Sie...“ der Doktor sprach weiter, aber
seine gebrochenen Worte machten es schwer, ihn zu verstehen.
Schließlich schloss er verbittert die Augen: „Sie konnte sich niemals befreien.“
Nach einem langen Schweigen war seine Stimme erschreckend heiser: „Es ist unausweichlich.“
An Zhe öffnete seine Augen etwas weiter, denn er begriff, was der Arzt nun sagen wollte.
Der Instinkt eines Lebewesens war es, zu leben, und der Instinkt einer Art war es, sich fortzupflanzen.
Niemand konnte diesem Instinkt entkommen. Niemand konnte ihm entkommen, und Frau Lu war schon seit einer Ewigkeit darin gefangen. Vielleicht, vielleicht nur in diesem Moment, in diesem flüchtigen Moment, - in dem sie sich in eine Biene verwandeln wollte, es aber noch nicht getan hatte - , bekam sie kurz das, was sie immer gewollt hatte. Freiheit. Und dann fiel der ewige und unwissende schwarze Vorhang abrupt vor ihren Augen.
„Das Rosenmanifest war die unvermeidliche Wahl für die langfristige Entwicklung der Basis, aber es hat in der Tat gegen die Normen der Menschlichkeit verstoßen. Das Gericht, die Söldner, das Notfallsystem... Viele Systeme sind ein Verstoß. Wenn ich die Dinge nicht aus der Sicht der Basis sehen müsste, dann hätte ich den Widerstand der Frau unterstützt“, seine Stimme war extrem leise, „Aber hatte ihr Widerstand überhaupt einen Sinn? Sie hat sogar... alle unsere Embryonen weggenommen.“
Er blickte auf die leeren Wände, der Blick in seinen Augen war wie weggetreten: „Niemand hat etwas falsch gemacht, aber das Ende ist immer noch dasselbe.“
Er schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen und konnte kaum seinen klaren Kopf bewahren, indem er vor sich hinmurmelte: „Dieses... dieses verdammte Zeitalter.“
Für die Menschen war dieses Zeitalter des Verschwindens des geomagnetischen Feldes keine Katastrophe, sondern eher ein Niedertrampeln.
Es machte den Menschen zuerst die Zerbrechlichkeit ihres eigenen Körpers bewusst; dann die Bedeutungslosigkeit der Technologie, auf die sie so stolz waren; dann mussten sie begreifen, dass die Legitimität der Arbeitsweise der gesamten Basis in Frage gestellt werden musste und schließlich wurde ihnen nun auch noch aufgezeigt, dass auch der Wille, den nur die Menschen hatten, nahezu wertlos war.
Aber so war es auch nicht ganz richtig.
Denn diese Welt kümmerte sich überhaupt nicht um die Existenz von Menschen. An Zhe legte seine Hand flach gegen die Scheibe des Verhörraums. Er versuchte, näher an den Arzt heranzukommen, wollte ihn trösten.
„In Ordnung“, er sah, wie der Arzt
mehrere tiefe Atemzüge machte und sich zwang, ein gewisses Maß an
Ruhe wiederzuerlangen, „Jetzt ist es an der Zeit, dass du mir zwei
Fragen beantwortest. Erstens, da Seraing glaubt, dass du ein Mensch
bist, warum wurdest du nicht von Frau Lu infiziert? Zweitens: Warum
hast du das Labor D1344 betreten und
die Probe mitgenommen?“
An Zhe senkte seinen Blick und sagte nichts.
„Du musst es mir sagen“, sagte der Arzt, „Wenn ich keine Ergebnisse bekomme, wirst du nur wieder diesem Oberst übergeben werden müssen.“
An Zhe schüttelte stumm den Kopf.
„Du hast noch nicht die Verhörmethoden des Militärs gesehen“, der Arzt stand von seinem Stuhl auf, stellte sich vor die Glaswand und begegnete seinem Blick, „Wenn du es auch nicht weißt, warum du nicht infiziert worden bist, dann warten wir einfach darauf, das Lu Feng zurückkommt, die Energie wiederherstellt ist und wir zum Leuchtturm gehen können, um eine Ganzkörperuntersuchung durchführen zu können. Aber du musst mir sagen, wo die D1344-Probe ist.“
An Zhe sagte immer noch nichts. Schließlich sagte der Arzt: „Gibt es etwas, das du Seraing und mir nicht sagen kannst?“
An Zhe nickte.
„Warum nicht? Du bist doch ein gutes Kind“, der Blick in den Augen des Arztes war kompliziert, als er noch einmal wiederholte, „Diese Probe ist von großer Bedeutung. Wo genau ist sie?“
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